Im Visier des Verlangens
er sich fürchtete, sie musste nicht gegen dunkle Mächte kämpfen.
„Verstehe.“ Sie erhob sich und strich sich glättend über das hauchdünne Nachthemd. „Ich denke, ich gehe besser.“
Entschlossen durchquerte sie das Zimmer.
Mit drei langen Sätzen war er bei ihr und nahm sie beim Arm.
Sie sah zu ihm hoch. In ihren Augen lag ein harter Glanz. „Was ist?“
Er wusste nicht, wie er sich ausdrücken sollte, zog sie nurstumm in die Arme. Sie fühlte sich weich und zart an, roch nach Flieder. „Es geht nicht um dich“, murmelte er in ihr Haar. „Es ist das Feuer.“
Sie entzog sich ihm. „Wie tröstlich“, erklärte sie in einem Ton, der alles andere zum Ausdruck brachte, nur keinen Trost. Und bevor er sich mit vagen Ausflüchten lächerlich machen konnte, verließ sie das Zimmer.
13. KAPITEL
D er Morgen war grau und nebelig, die Sonne noch nicht über dem Horizont, als Ned aufstand, um Harcroft zu verabschieden. Der hatte schon gefrühstückt und war reisefertig, als Neds Schritte auf dem Kies der Auffahrt knirschten. Die Kutsche wartete voll beladen.
Ned streckte ihm die Hand entgegen. „Viel Glück“, sagte er. „Und gute Reise.“ Letzteres meinte er ernst, da er es kaum erwarten konnte, Harcroft endlich meilenweit entfernt zu wissen. Der erste Wunsch war allerdings eine glatte Lüge.
Der Earl erwiderte seinen Händedruck und warf sichernde Blicke über die Schulter. „Vergiss nicht, was ich dir gestern Abend gesagt habe. Wenn du Louisa hier in der Gegend ausfindig machst, handelst du in meinem Auftrag.“
Gott bewahre. Ned nickte knapp. „Selbstverständlich. Adieu. Vor dir liegt eine lange Reise, und du tust gut daran, das Tageslicht zu nutzen.“ Er warf einen Blick über die Schulter.
„Hältst du Ausschau nach deiner Frau?“, fragte Harcroft spöttisch. „Sie macht dich nervös, wie? Musst du sie immer noch um Erlaubnis fragen, sie anfassen zu dürfen, und gibst klein bei, wenn sie Nein sagt?“
„Nicht unbedingt.“ Ned sah keine Veranlassung, die Verwicklungen seines Ehelebens einem Mann anzuvertrauen, der es für nötig befand, Intimität mit Fäusten und Schlägen einzufordern. Angewidert wandte er den Blick ab.
Harcroft hingegen schien Neds Reaktion als Zustimmung zu verstehen, denn er schlug ihm jovial auf die Schulter. „Gut so. Glaube mir, echte Männer fragen nicht. Sie packen zu.“
Nach Neds Verständnis reagierten Männer nicht mit Tobsuchtsanfällen, wenn etwas nicht nach ihrem Willen ging.
„Wie du meinst“, sagte er. „Aber nun wird es höchste Zeit für dich!“
„Komm schon, Carhart. Versprich mir, dass du deine Frau an die Kandare nimmst.“
„Lass es gut sein.“ Und es geht dich nichts an. „Wieso ist dir das so wichtig?“
Harcroft räusperte sich und beugte sich verschwörerisch vor. „Weil ich glaube, sie hat irgendetwas mit Louisas Verschwinden zu tun. Ich habe lange darüber nachgedacht. Louisa hat meine Autorität niemals infrage gestellt, ehe sie sich mit Kate angefreundet hat. Deine Frau hat sie mit weiblicher List gegen mich eingenommen, davon bin ich fest überzeugt. Ich kann es nur nicht beweisen. Aber bei Frauen muss man sich ohnehin auf seine Instinkte verlassen.“
„Meine Instinkte unterscheiden sich von deinen“, erklärte Ned ausweichend.
Harcroft richtete sich auf und strich sich über das Revers seines Gehrocks. „Wenn du deiner Frau keine Zügel anlegst, tue ich es für dich.“
Ned hatte Mühe, sich im Zaum zu halten. Er trat einen Schritt vor und straffte die Schultern. „Womit genau drohst du meiner Frau?“, fragte er.
Ein schiefes Lächeln umspielte Harcrofts Mund. „Nun werde bloß nicht melodramatisch. Wenn ich Louisa gefunden habe, werde ich dafür sorgen, dass sie keinen schädlichen Einflüssen mehr ausgesetzt ist. Es wäre bedauerlich, wenn ich dich dazuzählen müsste.“
Solange Ned ihn kannte, war Harcroft ein ausgezeichneter Fechter gewesen. Er schwang den Degen geschickt wie kein anderer und war flink auf den Beinen. Dafür hatte Ned ihn bewundert und ihn stets für größer und stärker gehalten als sich selbst. Nun erkannte er zum ersten Mal, dass er einen Kopf größer war als der Earl. Und die langen Monate auf See, in denen er gemeinsam mit einfachen Matrosen Schwerstarbeit geleistet hatte, hatten seine Muskeln gestählt und seine Schultern breiter werden lassen.
Mochte Harcroft auch noch so geschickt mit dem Degen umgehen, mit Neds Kraft konnte er sich nicht messen. Diese Erkenntnis half ihm,
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