Im Visier des Verlangens
mein Leben aus den Fugen gerät, nur weil meine Frau einen klaren Verstand besitzt. Im Gegenteil, das ist eine ihrer besten Eigenschaften. Hättest du deiner Frau ein paar eigene Entscheidungen überlassen, wärst du jetzt nicht in dieser jämmerlichen Situation.“
Harcroft sagte nichts. Er hatte auch aufgehört, sich gegen Neds unerbittlichen Griff zu wehren. Seine Lippen waren zu einem schmalen Strich zusammengepresst, die Augen blitzten vor Zorn und sein Atem ging keuchend. Ned hingegen wirkte so ruhig und unangestrengt, als trinke er eine Tasse Tee.
In diesem Moment erkannte Kate etwas höchst Erstaunliches: Sie bewunderte ihren Ehemann. Es lag nicht an seiner Muskelkraft, mit der er den Earl, der sie bedroht und geschlagen hatte, gegen die Wand drückte. Auch nicht an der Selbstverständlichkeit, mit der er sie verteidigte.
Es war vielmehr seine Bestätigung, dass sie das Richtige getan, dass sie Stärke und Entschlossenheit bewiesen hatte. Damit hatte er alles, was andere in ihr sahen, auf den Kopf gestellt.
„Kate“, sagte er nun, ohne den Blick von Harcroft zu wenden, „was sollen wir mit diesem Widerling tun?“
„Wir haben ihn schon einmal nach Hause geschickt, ich finde, wir sollten es wieder tun.“ Vorsichtig schüttelte Kate ihren kribbelnden Arm. „Wir wollen ihn nicht in unserer Nähe haben.“
„Soll ich ihm das Gesicht ein wenig verzieren, ehe er unser gastfreundliches Haus verlässt?“
„Ich finde, du solltest es gut sein lassen.“ Kate dachte an die Blutergüsse an Louisas Armen. Sie dachte an die Schmerzen in ihrem Handgelenk und ihrer Schulter. „Das Letzte, was wir jetzt brauchen, ist Gewalt. Habe ich nicht recht, Harcroft? Ich sage das, weil ich im Grunde genommen eine gutartige und langmütige Frau bin.“
„Da hast du es“, meinte Ned. „Nun siehst du, warum ich mich in wichtigen Entscheidungen an meine Frau um Rat wende. Ginge es nämlich nach mir, würde ich dir jeden Knochen brechen und dich anschließend in den Brunnen zur Abkühlung werfen. Was meinst du, Kate? Darf ich ihm wenigstens ein paar Rippen brechen? Bitte!“
Kate lächelte. „Wenn er noch einmal hier auftaucht, darfst du ihn zu Brei schlagen.“
„Siehst du? Gnade und Gerechtigkeit. Ich stell dich jetzt auf die Füße, und du verschwindest.“
Harcroft fuhr sich mit der Zunge über die Lippen, als Ned von ihm abließ. „Das wirst du bereuen“, krächzte er. „Ihr beide werdet es bereuen.“
„Ich weiß“, antwortete Ned und schüttelte traurig den Kopf. „Ich bereue es jetzt schon. Ich muss mich damit zufriedengeben, mir dein blutiges Gesicht vorzustellen. Aber wir alle müssen mit Enttäuschungen zurechtkommen.“
„Ich gebe nicht auf. Du kannst mich nicht fortschicken.“
„Und ich …“, Ned trat einen Schritt auf ihn zu, „… ich lasse nicht zu, dass du meiner Frau etwas antust. Unter keinen Umständen. Du bist hier nicht länger willkommen, Harcroft, und ich rate dir, dich zu verkriechen und deine Wunden zu lecken. Wie konntest du es wagen, Kate zu bedrohen, nurweil du deine Frau nicht mehr verprügeln kannst? Scher dich zum Teufel!“
Harcroft ballte die Hände zu Fäusten. Und dann fuhr er herum und suchte das Weite.
Kate schaute ihm nach, wie er den Flur entlangeilte. Neben ihr holte Ned tief Luft und lockerte seine Finger. Blicklos starrte er in den Flur. Dann senkte er den Kopf.
„Verdammt“, murmelte er. „Vielleicht habe ich zu viel gesagt. Was habe ich getan?“
Du hast mich gerettet, dachte sie, bevor sie den Sinn seiner Worte wirklich begriff.
„Soll das heißen … du hast es gewusst?“
Er wandte den Blick ab. „Hm. Wenn du damit meinst, dass ich Lady Harcroft zufällig vor ein paar Tagen in der Schäferhütte begegnet bin? Nun ja. Vielleicht.“
Oh Gott! Kates Magen begann zu flattern. „Bist du sehr böse mit mir, weil ich dir nicht früher davon erzählt habe? Willst du, dass ich damit aufhöre?“
„Ich platze vor Neugier, wie du diese kolossale Aufgabe in aller Stille bewältigt hast. Aber böse?“ Er sah ihr in die Augen. „Ich habe Jahre gebraucht, um mir selber vertrauen zu können. Also könntest du mir damit wenigstens noch eine Woche Zeit lassen. Nun ja, hättest du die Pistole tatsächlich geladen, die Lady Harcroft auf mich richtete, hätte mich dein Misstrauen tatsächlich gekränkt.“
„Oh Gott, das hat sie nicht getan.“ Kates Hand flog an ihren Mund.
„Doch, sie hat.“ Er lächelte dünn. „Aber sei unbesorgt. Wir haben uns
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