Im Visier des Verlangens
klammerte oder mit dem Rückhalt ihres Ehemannes rechnen konnte.
„Ich kann unsere Ehe nötigenfalls auch nüchtern und vernünftig betrachten“, beendete Kate ihren Gedankengang. „Aber Ned, ich will nicht vernünftig sein.“
Er blieb stehen und sah sie an. „Und ich dachte schon, ich könnte nicht glücklicher sein. Ein Spaziergang an einem schönen Herbstmorgen mit der schönsten Frau Englands an meiner Seite, im Wissen, dass jeder mich um mein Glück beneidet, der uns sieht.“ Er legte seine kühle Hand an ihre erhitzte Wange.
„Ned. Jeder in der Wirtsstube kann uns sehen.“
„Zum Teufel damit“, erwiderte er. „Genieße den Augenblick.“ Er neigte sich über sie und küsste sie in aller Öffentlichkeit. Kein Kuss glühender Leidenschaft, dennoch eine Ungehörigkeit mitten auf der Straße, wo alle sie sehen konnten. Kate durchfuhr ein Wonneschauer; ihre Füße schmerzten nicht länger.
Als er sich von ihr löste, sah er sie ernsthaft an. „Zum Teufel mit nüchterner Vernunft“, erklärte er.
„Ned“, begann Kate zaghaft, als sie ihren Weg fortsetzten. „Würdest du mich zweimal hintereinander aus deinem Schlafzimmer schicken?“
Das Gasthaus lag hinter ihnen, ehe er antwortete. „Nein“, sagte er leise. „Nein, das würde ich nicht wagen.“
14. KAPITEL
D ie Stunden bis zum ersehnten Abend krochen im Schneckentempo dahin.
Nach dem Spaziergang zog Ned sich in sein Arbeitszimmer zurück, um Dokumente zu studieren, die ihm aus London geschickt worden waren. Kate besprach mit der Haushälterin die Menüfolge für die nächsten Tage und mit dem Gutsverwalter Angelegenheiten der Pachtfarmen. Nach dem Mittagessen begab Ned sich zur Koppel, um einige Zeit bei Champion zu verbringen.
Seltsamerweise machte er keine Anstalten, sich auf die Suche nach Louisa zu begeben, wie er es Harcroft versprochen hatte, worüber Kate ins Grübeln geriet.
Wusste ihr Ehemann mehr, als er ihr anvertrauen wollte? Vermutete er hinter ihrem Schweigen, dass sie Harcroft keinen Erfolg wünschte, seine Frau zu finden? Würde er tatsächlich ihre Partei gegen seinen Freund ergreifen? Sie war beinahe versucht, es zu glauben, vermochte aber ein mulmiges Flattern in ihrer Magengegend nicht zu verdrängen. Vielleicht würde sie nach dem bevorstehenden Abend genügend Vertrauen zu ihm aufbringen, um Ned ihr Geheimnis zu verraten. Aber vorher wollte sie mit Louisa am nächsten Morgen darüber sprechen.
Die Zeit kroch zermürbend langsam dahin, und Kate versuchte, sich mit Handarbeiten und Lektüre abzulenken. Schließlich trieb ihre Ruhelosigkeit sie dazu, von einem Salon in den nächsten zu wandern, aus dem Fenster zu starren und ihre Wanderung wieder aufzunehmen. Nachdem sie zum fünften Mal durch den Korridor zur Eingangshalle und wieder zurück gegangen war, wurde ihr Streifzug jäh unterbrochen.
„Aha. Lady Kathleen, da sind Sie ja.“ Kate fuhr beim Klang der tiefen Männerstimme herum.
Harcroft stand breitbeinig vor ihr, die Arme anmaßend vor der Brust verschränkt. Ein düsterer Rachegott, trotz seinerblonden Haare und strahlend blauen Augen. Er beobachtete sie lauernd – wie eine Katze einen Falter, ehe sie zum Sprung ansetzte.
„Sie wissen, wo sie ist!“ Eine bittere Anklage, keine Frage.
Kate verdrängte die Angst, die ihr die Kehle zuschnürte. Er konnte nichts wissen, sonst wäre er nicht hier, sondern fünf Meilen entfernt in der Schäferhütte, um seine Ehefrau zu bedrohen. Aber irgendetwas wusste er, andernfalls wäre er auf halbem Weg nach Chelsea.
„Harcroft. Wieso sind Sie hier? Haben Sie etwas vergessen? Hatten Sie einen Unfall? Können wir helfen?“
Er presste die Lippen aufeinander und starrte ihr feindselig in die Augen. Ein kalter Schauer rieselte ihr über den Rücken. In seinem Blick lag keine männliche Begierde. So schmutzig sie sich dabei auch gefühlt hätte, damit könnte sie umgehen. Nein, ihr lief es eiskalt über den Rücken, weil er sie ansah, als sei sie ein Nichts. In seinen stechend blauen Augen las sie Geringschätzung und Verachtung. Für ihn war sie so etwas wie ein nutzloser Gegenstand, nein ein Wurm, den man mit dem Stiefelabsatz zertrat.
„Sie hat ein kleines Kind bei sich“, sagte er. „Sie braucht mich. Louisa braucht ihren Ehemann, ihre Familie. Stattdessen hat sie sich auf ein törichtes Abenteuer eingelassen und treibt sich in der Weltgeschichte herum. Meine Frau braucht Schutz und Anleitung.“ Er starrte düster vor sich hin.
Kate nahm all ihren Mut
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