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Im Visier des Verlangens

Im Visier des Verlangens

Titel: Im Visier des Verlangens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Courtney Milan
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Worte dafür gefunden. Ich würde es nicht als Wahnsinn bezeichnen.“
    Sie hatte eigentlich keine Antwort erwartet, gewiss nicht eine, die sie in noch größere Verwirrung stürzte. Aber seine Worte ließen sie erschrocken verstummen. Wenn es nicht als Wahnsinn zu bezeichnen war, was war es dann? Sein Ellbogen streifte ihren Arm, als er den Hut abnahm und ihn vor die Brust hielt.
    „Ich habe einen Arzt aufgesucht“, erklärte er seinem Hut. „Der hat mir versichert, es handle sich nicht um eine Geistesstörung.Wäre es Wahnsinn, könnte man nicht kontrollieren, was man sagt oder tut, man wäre sich der Realität nicht bewusst. Ich hingegen bin mir der Realität stets bewusst, wenn der Zustand mich befällt. Ich kann über mein Handeln bestimmen. Die ganze Zeit. Ich kann tun, was ich tun will.“
    Und er wollte in Eiseskälte schlafen und Kate ausschließen.
    „Ich kann tun, was ich tun will“, wiederholte Ned gedehnt. „Es ist nur … manchmal will ich gar nicht.“
    „Was willst du nicht?“ In einer Kurve wurde Kate wieder an seine Seite gedrückt.
    Sie spürte sein Achselzucken. „Wenn der Zustand einsetzt, will ich nicht einmal morgens aufstehen. Als ich neunzehn war, fing es an. Ich habe wochenlang mein Bett nicht verlassen. Meine Mutter hielt mich für krank, aber der Arzt konnte nichts feststellen. Ich wollte nur nicht aufstehen.“
    „Das klingt nicht nur nach einem Zustand.“
    „Es fällt mir leichter, es als etwas zu bezeichnen, das von mir getrennt ist. Die Alternative wäre, dass ich dieser Zustand bin. Dass ich irgendwann morgens aufwache und beschließe, ein anderer Mensch zu sein. Nein, ich betrachte diese Zustände wie einen kurzen bitterkalten Winter, als etwas außerhalb von mir. Ich kann es nicht erklären, ich kann nur sagen, dass ich nicht wahnsinnig bin und du dir keine Sorgen machen sollst.“
    „Ich soll mir keine Sorgen machen? Aber …“
    Er legte ihr einen Finger seiner behandschuhten Hand an die Lippen. „Nein, mach mich nicht zu einer Art Verwundeten oder Kranken, den du gesund pflegen willst. Hier gibt es keine Heilung, Kate, keinen Drachen zu töten. Es ist lediglich ein Ungeheuer, das ich bereits gezähmt habe. Gelegentlich hebt es noch den Kopf. In der Vergangenheit hat es versucht, mich zu vernichten. Aber das ist vorbei. Ich brauche keine Hilfe. Ich will keine Hilfe.“
    „Aber …“
    „Es ist nicht der Rede wert.“ Mit Nachdruck schlug er gegen die Seitenwand der Kutsche. Es dauerte eine Weile, ehe Katebegriff, dass der Wagen nicht wegen seines Klopfzeichens angehalten hatte, sondern weil er an ihrem Stadthaus vorgefahren war.
    Ned griff über sie hinweg nach der Türklinke, um noch einen Moment mit ihr allein zu sein. Von außen wurde kurz daran gerüttelt, bevor der Diener erkannte, dass die Tür von innen blockiert wurde, und seine Bemühungen aufgab.
    „Du musst dir keine Sorgen machen“, wiederholte Ned. „Ich bleibe nicht mehr im Bett, wenn der Zustand mich befällt. Mittlerweile bin ich darauf vorbereitet. Ich übe für jene Tage, an denen ich es nicht ertrage, aufzustehen, weil ich weiß, dass diese Zustände wiederkommen. Ich ertüchtige mich und tue Dinge, die ich nicht tun will.“
    „Zum Beispiel …“
    „Zum Beispiel laufe ich morgens drei Meilen, und wenn ich glaube, es nicht zu schaffen, laufe ich noch mal drei Meilen. Und ich schlafe bei offenem Fenster ohne Feuer im Kamin.“ Er begegnete ihrem Blick. „Gelegentlich verzichte ich darauf, mit dir zu schlafen, auch wenn ich dich noch so sehr begehre. Ich stähle mich, damit mir diese Zustände nichts mehr anhaben können.“
    „Das erscheint mir …“ Kate suchte nach den richtigen Worten. Befremdlich? Unerklärlich? Gefühlskalt? Nichts erschien ihr passend. Sie hob das Kinn. „Ich finde, du hättest früher mit mir darüber sprechen müssen.“
    Sie hätte ihm helfen können. Sie hätte etwas tun können. Die Andeutung eines Planes begann sich in ihr zu formen.
    Statt einer Erwiderung stieß er den Wagenschlag auf. Auf dem Gehsteig verbeugte sich der Diener. Ned wandte sich ihr zu. Jede Anspannung war aus seinen Gesichtszügen gewichen und hatte einem verschmitzten Lächeln Platz gemacht.
    „Wie auch immer“, sagte er leichthin, „es macht mir mehr Spaß, dich zum Lachen zu bringen.“
    Er sprang aus dem Wagen. Sie starrte ihm verblüfft nach. Hatte er tatsächlich dieses ernsthafte Gespräch mit einem Lächelnabgetan? Kate erhob sich so brüsk, dass sie beinahe mit dem Kopf gegen

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