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Im Visier des Verlangens

Im Visier des Verlangens

Titel: Im Visier des Verlangens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Courtney Milan
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das Wagendach stieß. „Ned, du … du …“
    Ihr fehlten die Worte. Empört raffte sie die Röcke und trat auf das schmale Treppchen. Ned empfing sie und half ihr ritterlich. Seine Finger fühlten sich warm durch den Lederhandschuh an.
    „Ich bin ein fabelhafter Possenreißer“, raunte er so leise, dass sie sich anstrengen musste, um seine Worte zu hören in der samtschwarzen Stille der Nacht. „Als wir heirateten, verstand ich mich glänzend darauf, den Spaßvogel zu geben. Ich hielt es für passender, meine Schwächen mit dummen Scherzen zu übertünchen, als alle Welt wissen zu lassen, dass mich gelegentlich diese lähmenden Zustände befallen, die nicht wirklich als Wahnsinn zu bezeichnen sind.“ Sein schalkhaftes Lächeln stand in so krassem Gegensatz zur Ernsthaftigkeit seines Tonfalls, dass Kate nur verständnislos den Kopf schütteln konnte.
    Auf den Stufen zum Haus legte er den Arm um sie.
    „Aber …“
    „Ich habe darüber geschwiegen, weil ich nicht wollte, dass du davon weißt. Ich möchte nicht, dass du meine Schwächen siehst. Ich brauche keine Krankenpflegerin, die mich mit Brei füttert und mir das Kinn wischt. Im Übrigen wird die Sache nur realer, je mehr Menschen davon wissen.“
    Letzteres hielt Kate für eine Ausrede. Sie wandte sich mit gefurchter Stirn an ihn. Aber Ned erwiderte ihren Blick nicht, führte sie galant durch das Portal mit einer Selbstverständlichkeit, als geleite er sie aufs Tanzparkett. Auch dies eine Geste, mit der er sie ausschloss. Eine andere Form des Verlassens als seine einstige Flucht nach China, gleichwohl eine Geste des Verlassens. Eine Ablehnung dessen, was ihre Ehe sein könnte, was Kate ihm bedeuten könnte, wenn er es nur zuließe.
    Wenn er glaubte, sie würde die Wahrheit nicht ertragen, hatte er nicht das geringste Vertrauen in sie.
    In der Halle blieb Kate stehen und zwang ihn, gleichfalls stehen zu bleiben.
    „Nein.“ Ihr blieb nichts als pure Weigerung.
    Ein zweiter Diener trat hinter sie, um ihr den Mantel abzunehmen.
    „Mylady?“, fragte er einigermaßen verwirrt.
    „Nein“, wiederholte Kate gefasst. „Wir brauchen Ihre Dienste heute Abend nicht mehr.“
    Ned erhob keinen Einwand. Er stand gegen den Türrahmen zum Salon gelehnt und wartete, bis die Diener sich zurückgezogen hatten. Dann stieß er sich ab und betrat das Zimmer. Nur das Kaminfeuer verbreitete einen schwachen Schein. Ned machte keine Anstalten, eine Petroleumlampe anzuzünden.
    Es wäre falsch, zu denken, er stoße sie von sich. Nein, er wollte sie nur nicht näher an sich herankommen lassen. Aber Kate wünschte sich mehr und wartete mit angehaltenem Atem.
    Wie ein großer Schatten stand er vor ihr, sein Rücken vom Kristallleuchter in der Halle beleuchtet. Sein Halbprofil zeichnete sich scharf ab, die Kontur seiner Nase, das trotzig vorgeschobene Kinn. Die dämmrige Stille schien vor Spannung zu knistern.
    „Und?“, begann er schließlich. „Ich dachte, du willst mir ein paar Fragen stellen. Gibt es etwas, das du wissen möchtest?“
    „Und ich dachte, du willst mir keine Antwort geben.“
    „Das will ich auch nicht.“ Hörbar stieß er den Atem aus im Anflug eines bitteren Lachens. „Aber ich werde dir trotzdem antworten. Nur zu, tu dir keinen Zwang an.“
    Sie hätte ihm viele Fragen stellen können. Wann befiel ihn dieser Zustand? Wie hatte es angefangen? Konnte man etwas dagegen tun, nicht nur die lähmende Lethargie zu ertragen? Aber in diesem halbdunklen Schweigen war ihr nur eine Frage wichtig.
    „Willst du dir von mir nicht helfen lassen, weil du mich für unfähig hältst? Denkst du, ich breche zusammen, wenn du dich mir anvertraust?“
    Er schüttelte den Kopf. „Kate“, sagte er leise, „du bist die unbeugsamste Frau, die mir je begegnet ist.“
    „Belüge mich nicht!“
    „Ehrlich. Würde man dich in eine Löwengrube werfen, befiehlst du den Raubkatzen, die Knochen der Lämmer, die sie zum Frühstück verspeist haben, auf den Müllhaufen zu werfen – und kein Löwe würde es wagen, dir zu widersprechen. Wenn du in der Wildnis ausgesetzt wärst, würdest du alles daransetzen, um das alte Rom wieder aufzubauen mit all seinen prachtvollen Marmortempeln. Und zwar mit deinen bloßen Händen, vielleicht unter Zuhilfenahme von Feile und Messer.“
    „Gott bewahre. Mir steht der Sinn nicht danach, in einer Wildnis ausgesetzt zu werden, Ned. Und wenn ich so tüchtig bin, wie du behauptest, wieso traust du mir dann nicht zu, dir zu helfen?“
    Ned blieb ihr

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