Im Wald der gehenkten Füchse
die Einwanderungsformulare bestellt und war drauf und dran, auf die andere Seite des Erdballs zu fliegen. Aber zum Glück kam dann von meinem Cousin ein Brief, in dem er jammerte, wie hart man dort schuften musste. Ich überlegte mir die Sache und beschloss, in Finnland zu bleiben. Ich habe meine Entscheidung nie bereut. Du solltest meinen Cousin jetzt mal sehen. Er ist erst vierzig, aber hager und sehnig wie ein Marathonläufer. Er hat Knochenschäden, überall Verschleißerscheinungen, weil er total arbeitswütig ist. Vergangenen Sommer, als er in Finnland war, sind wir zusammen zur Massage gegangen. Er hat geschrien wie am Spieß, so taten ihm die Knochen weh.
Als Lagergehilfe habe ich Schweißtransformatoren und lauter solches Zeug geklaut und nach Österbotten verkauft. Dafür gab’s massenhaft Geld und ein Jahr Gefängnis. Zur gleichen Zeit starb mein Vater. Zum Glück ist er vor meiner Verurteilung gestorben, sonst hätte er sich bestimmt geschämt. Als ich aus dem Knast rauskam, habe ich beschlossen, dass ich es nicht noch mal mit Arbeit versuche. Ehrliche Arbeit finde ich einfach unsympathisch. Es ist demütigend, eine Arbeit zu machen, für die ein anderer auch noch Lohn bezahlt. Außerdem ist Arbeiten anstrengend. Arbeitswütige Leute haben mir schon immer Leid getan.«
»Die Frage ist wahrscheinlich überflüssig, aber hast du ein Gewissen?«
»Ein schlechtes Gewissen hat mich nie geplagt. Ich stehle, was mir einfällt, völlig kaltschnäuzig. Natürlich nehme ich nicht einer armen allein stehenden Frau oder einem Penner die letzten Groschen weg, aber weniger deshalb, weil ich Mitleid mit den armen Teufeln hätte, sondern weil sie sowieso nichts haben, das sich zu nehmen lohnt. Ich würde es zum Beispiel fertig kriegen, einer trauernden Witwe den Nachlass ihres Alten unter dem Hintern wegzustehlen, und so was habe ich sogar schon mal gemacht. In Kerava habe ich bei einer alten Schachtel die komplette Wohnzimmereinrichtung mitgehen lassen. Antikmöbel, die haben sich gut verkauft. Ich bin bis heute nicht dafür bestraft worden, und das kann auch nicht mehr passieren, weil das Verbrechen verjährt und die Alte tot ist. Sie hätte ihren Krempel sowieso nicht mit ins Grab nehmen können. Ich bin tatsächlich ein böser Mann, aber das finde ich nicht schlimm. Diese Härte wirkt jetzt vielleicht angeberisch, aber ein Berufsverbrecher ist nicht erfolgreich, wenn er sich nach jedem Coup erst mal mit Kaltschnäuzigkeit wappnen muss. Das macht ängstlich und unsicher. Man muss schon von Anfang an kaltschnäuzig und böse sein. Dienst ist Dienst, so lautet meine Devise.«
Der Major wollte wissen, wie Oiva Juntunen über Gefängnisse dachte. Führten wiederholte Strafen den Verbrecher nicht auf den Pfad der Tugend zurück?
»Mehr als zehnmal habe ich schon im Gefängnis gesessen. Ich muss zugeben, dass die Jahre in der Haft die Schattenseite der Branche sind. Wenn ein Verbrecher nicht von Zeit zu Zeit ins Gefängnis müsste, wäre dies ein wirklicher Traumberuf. Unterzutauchen, wie jetzt hier in Lappland, das geht ja noch, aber dem Aufenthalt im Gefängnis kann ich nichts abgewinnen. Bei den ersten Malen war es die reinste Hölle, und oft habe ich daran gedacht, den Beruf zu wechseln. Es ist, als würde man zum Tier herabgewürdigt. Die schweren Eisentüren dröhnen, die Flure hallen, und nirgendwo kannst du alleine hin. Nichts kannst du selbst entscheiden, alles ist strengstens geregelt. Willst du dich mal mit jemandem unterhalten, dreht sich das Gespräch immer nur um dasselbe; die Typen haben kein anderes Thema als Weiber und Schnaps und ihre Coups und Fluchtpläne. Ich hingegen mochte nie über meine eigenen Taten reden. Ich will nicht, dass meine Arbeitsmethoden bekannt werden. Manchmal hätte ich Lust gehabt, mich über Politik oder die Gesellschaft oder auch über Kunst zu unterhalten, aber die Knackis haben davon keinen blassen Schimmer. Das Leben im Gefängnis ist öde und einsam. Manchmal habe ich sogar gedacht, wenn ich die Wahl hätte, würde ich lieber arbeiten als im Gefängnis sitzen.«
»Hast du schon mal jemanden getötet?«, fragte Major Remes.
»Nein. Gewalt finde ich brutal und primitiv. Es hat irgendwie einen hässlichen Anstrich, wenn jemand einen anderen Menschen umbringt. Ich habe Männer getroffen, die andere niedergeschossen, ihnen Gift eingeflößt, die Halsschlagader durchgeschnitten oder mit einem Ziegelstein den Kopf zerschmettert hatten. Ich habe mit solchen Männern zusammen in
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