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Im Wald der stummen Schreie

Im Wald der stummen Schreie

Titel: Im Wald der stummen Schreie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grange
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Institut für Agrarwissenschaft in Tucumán, Argentinien.«
    Nelly Barjac und Nicaragua. Francesca Tercia und Argentinien. Zwei verschiedene Binome, zwischen denen notwendigerweise ein Zusammenhang bestand.
    »Hast du den Absender identifiziert?«
    »Sein Name steht auf dem Versandschein. Jorge de Almeida.«
    »Wer ist das? Ein Agrarwissenschaftler?«
    »Nein, ich habe dort angerufen. Das war nicht ganz einfach. Ich spreche kein Spanisch, aber ich habe in meiner Gruppe einen Brasilianer, der radebrechend ...«
    »Okay. Was hast du herausgefunden?«
    »Das Institut beherbergt eine Abteilung für paläontologische Ausgrabungen. Die Agraringenieure leihen den Forschern Werkzeuge für Erdarbeiten, unterschiedlichste Materialien. Jedenfalls ist de Almeida Paläoanthropologe.«
    Jeanne hatte plötzlich eine Idee.
    »Wie alt ist er?«
    »Keine Ahnung. So um die dreißig.«
    Francesca Tercia hatte an der Universität Buenos Aires Paläoanthropologie studiert. Eine Möglichkeit: Francesca und Jorge kannten sich seit langem, seit ihrer Studienzeit. Vor ihrem inneren Auge sah sie das Gruppenfoto vom Campus der Universität, das sie im Atelier in Montreuil hatte mitgehen lassen. Auf diesem Foto war der Kopf eines fröhlichen jungen Mannes mit einem Kuli eingekreist worden, und darüber stand: »Te quiero!« Und wenn der Geliebte Jorge de Almeida persönlich war?
    »Hast du mit de Almeida sprechen können?«
    »Er ist verschwunden.«
    »Wo?«
    »Auf einer Expedition. Ich habe nicht verstanden, wo das war.«
    »Okay. Kannst du mir ein Foto von ihm beschaffen?«
    »Ich werde sehen ... Willst du nicht selbst anrufen?«
    »Als ich dich darum gebeten habe, wolltest du mir die Nummer nicht geben. Lass dir was einfallen. Ich muss hier meine Spur weiterverfolgen.«
    »Einverstanden.«
    »Ich danke dir, Patrick. Das ist wirklich sehr nett von dir.«
    »François Taine ist auch mein Freund gewesen.«
    »Versuch herauszufinden, was de Almeida an Francesca geschickt hatte.«
    »Bin schon dabei!«
    »Ich zähle auf dich«, sagte sie, bevor sie auflegte.
    Sie war auf dem Weg ins Bad, als das Telefon in ihrem Zimmer läutete. Nicolás. Er erwartete sie an der Rezeption. Es war schon 20.00 Uhr, und er meinte, je später es sei, umso gefährlicher werde die Fahrt zu ihrem Ziel.

 
    54
    Hansel wohnte in der Stadt Panajachel am Atitlán-See. Panajachel lag an einem Hang und war kleiner als Sololá. Ein Labyrinth winziger Häuschen aus Beton und Ziegeln und mit Blechdach. Sie mussten ihren Wagen am Stadtrand abstellen und auf ein Tuk-Tuk umsteigen – eine knatternde Motorradrikscha, die in die schmalen Gässchen hineinfahren konnte. Nicolás schien es zu missfallen, dass er den Mitsubishi auf dem Parkplatz zurücklassen musste. Er gab jungen Burschen ein paar Quetzal, damit sie darauf aufpassten, aber auch ihnen schien er nicht über den Weg zu trauen. Alles hier flößte ihm Ekel und Verachtung ein.
    Sie fuhren die schlecht beleuchteten Anhöhen der Stadt hinauf. Hier fand man alles, was typisch für eine Ortschaft in den Tropen war. Schwache Glühbirnen. Ein Gewirr von Leitungen in der Luft. Rundliche dunkelhäutige Frauen, die hinter ihrer Terrakottaplatte standen und mit strenger Regelmäßigkeit ihre Tortillas wendeten. Finster dreinblickende Männer mit runzligen Gesichtern, die in Gruppen auf den Freitreppen der Häuser saßen und stumm Pläne schmiedeten. Nichts fehlte, bis auf die Hitze. In dieser Nacht war es so kalt, dass noch von dem kleinsten Gegenstand Dunstwölkchen aufstiegen. Die Stadt rauchte wie ein schwelender feuchter Heuhaufen ...
    Das Tuk-Tuk setzte seine Fahrt durch das Gewirr der Gässchen fort. Nachdem es den höchsten Punkt des Dorfes passiert hatte, fuhr es auf der anderen Seite auf gewundenen Wegen wieder hinab. Tief unten glaubte Jeanne die Oberfläche des Sees zu erkennen, über dem ein dunstverhangener Mond stand.
    Nicolás biss die Zähne zusammen. Seine Miene drückte nicht mehr Ekel, sondern Besorgnis aus, denn jetzt fuhren sie durch eine callampa – ein Elendsviertel. Beton und Ziegel waren Leichtbausteinen, Kunststoffplanen und getrocknetem Lehm gewichen. Die Baracken mussten sich gegenseitig stützen, um nicht einzustürzen. Durch die Gassen liefen Rinnsale aus Abwässern, die Abfälle mit sich führten – dazwischen sah man Hunde, Schweine und Kinder. Innenhöfe mit gestampften Lehmböden dienten als Abstellplätze für ausgebaute Motoren und Reifen, die zur Hälfte in Pfützen lagen. Alles war rot. Alles

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