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Im Wald der stummen Schreie

Im Wald der stummen Schreie

Titel: Im Wald der stummen Schreie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grange
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Art?«
    »Ein neues – oder sehr altes – Chromosomenprofil. Jedenfalls eines, das sich von dem des Menschen unterscheidet.«
    »Ich verstehe nicht.«
    »Sie haben mir bei unserem zweiten Treffen gesagt, dass der Neandertaler achtundvierzig Chromosomen hatte.«
    »Ja, das habe ich gelesen, aber ich bin kein Fachmann.«
    »Ich denke an solche Anomalien.«
    »Sie phantasieren.«
    »Lassen Sie uns nach konkreten Indizien dafür suchen, dass Nelly diese Blutprobe tatsächlich analysiert hat. Wenn eine Blutkultur angelegt wird, hinterlässt dies eine Spur im Computer, oder?«
    »Nicht das Anlegen der Kultur. Das Foto der sogenannten Metaphase, der nächste Schritt bei der Analyse. Um dieses Foto zu erstellen, muss man eine Datei anlegen und ihr eine Kennnummer zuweisen. Eine Nummer mit zehn Ziffern, die sich nicht löschen lässt.«
    »Sie können also die Spur einer solchen Analyse auf der Festplatte des Rechners aufspüren?«
    »Ich kann nur eine Liste mit Kennnummern wiederfinden.«
    »Aber die Nummer enthält das Datum der Analyse.«
    »Das Datum, ja. Und die Uhrzeit, zu welcher der Rechner genutzt wurde.«
    »Nelly hat die Probe am 31. Mai erhalten. Nehmen wir an, sie hat die Kultur noch am selben Abend angelegt. Wie lange hätte es gedauert, bis die Kultivierung abgeschlossen gewesen wäre?«
    »Bei Blut geht das schneller als bei Fruchtwasser. Drei Tage.«
    »Am Abend des 3. Juni kehrt Nelly also zu ihrer Kultur zurück. Und sie benutzt den Rechner.«
    »Nein. Vor der Metaphase sind weitere Bearbeitungsschritte erforderlich, die vierundzwanzig Stunden dauern.«
    »Dann ist es also der 4. Juni. An diesem Abend öffnet Nelly eine Datei, gibt ihrer Probe eine Kennnummer und fotografiert die Chromosomen. Könnten Sie für diesen Abend nach einer Kennnummer suchen? Eine Referenz, die weder auf den Namen eines Patienten noch auf eine Fotografie verweist? Ich glaube, dass Nelly das Foto ausgedruckt und die Bilddatei danach gelöscht hat.«
    Sie hörte bereits das Klackern der Computertasten.
    »Ich habe die Kennnummer«, murmelte Pavois nach einigen Sekunden. »Das Material wurde um 1.24 Uhr morgens benutzt. Also am 5. Juni. Sonst habe ich nichts. Keinen Namen, kein Bild. Es wurde alles gelöscht – bis auf die Nummer, die sich nicht löschen lässt.«
    »Nelly hat nur den Ausdruck behalten. Sie musste wegen dieses Bildes sterben.«
    »Wieso sind Sie da so sicher?«
    »Der 5. Juni ist der Tag, an dem sie ermordet wurde, und zwar gegen drei Uhr morgens. Der Mörder hat Nelly überrascht, sie ausgeschaltet und die Datei gelöscht.«
    Schweigen. Dann fuhr Pavois fort:
    »Was genau stellt dieser Karyotyp dar?«
    »Ich sage es Ihnen noch einmal: Er zeigt den Chromosomensatz einer anderen menschlichen Spezies.«
    »Da ist doch absurd.«
    »Nelly ist wegen dieser Absurdität umgebracht worden.«
    »Weshalb hat sie mir nichts davon gesagt?«
    »Weil sie Ihre Antwort kannte. Sie wollte die konkreten Ergebnisse abwarten.«
    Der Zytogenetiker schwieg. Zweifellos bedauerte er, dass er seiner Lebensgefährtin nicht mehr Vertrauen entgegengebracht hatte. Wenn sie diese Forschungen gemeinsam durchgeführt hätten, wäre sie vielleicht dem Mörder entronnen ... Jeanne hatte nicht die Zeit, um ihn zu trösten oder eines Besseren zu belehren. Sie dankte ihm und legte auf.
    Nun wählte sie die argentinische Nummer, die Reischenbach ihr gegeben hatte: das Institut für Agrarwissenschaft in Tucumán. Daniel Taïeb, der Direktor der Abteilung für paläontologische Grabungen, war nicht da. Jeanne hinterließ ihre Telefonnummer und bat um Rückruf – ohne große Hoffnung.
    Draußen regnete es immer noch. Der Dschungel wurde vom Wind gepeitscht. Die verrückte Wahrheit. Sie musste mit jemandem sprechen. Sie wollte mit lauter Stimme ihre Erkenntnisse darlegen.
    Reischenbach.
    Kaum hatte der Polizist abgehoben, als Jeanne auch schon die ganze Geschichte bei ihm ablud. Die Entdeckung von Juan, dem Wolfskind, im Wald der verlorenen Seelen im Jahr 1981. Seine Rückkehr in die Welt der Menschen. Seine Erziehung. Dann die Nachforschungen, die Pierre Roberge angestellt hatte, um Juans Lebensgeschichte zu rekonstruieren.
    Ihr Fazit:
    Juan, der damals neun war, war nicht von Brüllaffen aufgezogen worden, sondern von den Nachfahren eines primitiven Volkes, das zu keiner bekannten Ethnie dieser argentinischen Provinz gehörte.
    »Glaubst du nicht, dass deine Phantasie ein wenig mit dir durchgeht?«, fragte der Polizist.
    »Dieses mysteriöse Volk ist

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