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Im Wald der stummen Schreie

Im Wald der stummen Schreie

Titel: Im Wald der stummen Schreie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grange
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Rue Moncey veröffentlicht. Sie schilderte die turbulenten Geschehnisse der Nacht. Den Anruf Taines. Das Flammenmeer. Ihren Versuch, ihn zu retten ...
    »Steht dieser Vorfall in einem Zusammenhang mit der Tat, von der du mir am Samstag erzählt hast?«
    »Es ist derselbe Täter.«
    »Deine Vermutungen haben sich bestätigt?«
    »Es sind keine Vermutungen mehr, sondern Tatsachen.«
    »Glaubst du, dass man dir den Fall übertragen wird?«
    »Nein, aber ich werde tun, was ich tun muss.«
    »Pass auf dich auf, Jeanne.«
    »In welcher Hinsicht?«
    »In jeglicher Hinsicht. Wenn es sich um vorsätzliche Brandstiftung handelt, wird Taines Mörder nicht zögern, all diejenigen zu beseitigen, die ihm auf die Pelle rücken. Außerdem kannst du die Ermittlungen nicht ganz allein durchführen, ohne offizielle Befugnisse. Ganz zu schweigen von dem Ärger, den du am Landgericht bekommst. Niemand wird zulassen, dass du auf eigene Faust recherchierst.«
    »Ich halte dich auf dem Laufenden.«
    »Viel Glück, meine Kleine.«
    Jeanne legte auf und dachte an Antoine Féraud. Im Grunde erwartete sie nicht mehr, dass er noch anrief. Der Psychiater hatte das Weite gesucht. Er würde sie nicht anrufen. Er wusste nicht, dass sie Ermittlungsrichterin und die einzige Person war, die ihm in Paris helfen konnte.
    Erneutes Telefonläuten. Nicht ihr Handy, sondern das stationäre.
    »Jeanne?«
    »Ja!«
    Sie hatte bereits die Stimme des »Präsidenten« erkannt – des Präsidenten des Landgerichts Nanterre.
    »Ich erwarte dich in meinem Büro. Sofort. Du brauchst dich nicht anzumelden.«

 
    27
    Dem Präsidenten sah man sein Amt nicht an. Der Mann, der beim Landgericht Nanterre das Regiment führte und seine Vorstellungen von Rechtsprechung in einem der größten Departements der Île-de-France zur Geltung brachte, war ein Gnom: so schmächtig und verhutzelt, dass er kaum über seinen Schreibtisch blicken konnte, und schmaler als die Rückenlehne seines Stuhls. Mit seiner Glatze und seinem grauen Teint hatte er etwas Pergamentartiges, das an die Abgüsse der durch den Vesuvausbruch verschütteten Einwohner Pompejis erinnerte.
    Das Verblüffendste war sein Gesicht: eine Mischung aus Mulden und Höckern. Sein unebenmäßiger Schädel wirkte wie ein Abbild seiner unzähligen verschrobenen Gedanken und heim tückischen Überlegungen. Seine hervorquellenden Augen waren ständig von einer gelblichen Flüssigkeit verschleiert. Sein dicklippiger Mund erzeugte das einzige Element, das seiner Funktion entsprach: eine Baritonstimme.
    »Setz dich!«
    Jeanne kam der Aufforderung nach. Während sie die Treppe in den ersten Stock hinaufgestiegen war, hatte sie gehofft, dass der Präsident ihr die Ermittlungen zu den Kannibalen-Morden oder der Brandstiftung in der Rue Moncey anvertrauen würde. Oder beide Fälle. Jetzt, da sie seine versteinerte Miene sah, ahnte sie, dass ihr etwas Banaleres blühte. Eine Standpauke nach allen Regeln der Kunst.
    »Bist du stolz auf dich?«
    Jeanne zog es vor, zu schweigen. Sie wusste nicht, was genau er meinte – sie hatte eine ganze Reihe von Fehlern und Regelverstößen begangen. Also wartete sie ab.
    »Als Richterin bist du verpflichtet, dich zu schützen und dich immer an die zuständigen Behörden zu wenden. Bei diesem Brand wären das die Feuerwehrleute gewesen. Punkt.«
    »Ich habe als Privatperson gehandelt.«
    »Aber du wirst als Richterin sanktioniert werden. Dura lex, sed lex .«
    Jeanne übersetzte im Geiste. »Streng ist das Gesetz, aber so ist das Gesetz.« Die Richter verwenden gern lateinische Zitate, die sie von den Vätern der Rechtsprechung – den Römern – übernommen haben. Der Präsident übertrieb es allerdings.
    »Schade«, fügte er in zweideutigem Ton hinzu. »Da du jetzt in diesem Fall eine Zeugin bist, kann dir die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen nicht übertragen.«
    »Das war doch sowieso klar.«
    »Woher willst du das wissen?«
    »Weibliche Intuition.«
    Der Präsident runzelte die Stirn.
    »Nur weil du eine Frau bist, würde man dich übergehen?«
    »Vergiss es«, antwortete Jeanne, die sich nun wieder sicherer fühlte.
    »Zweiter Punkt. Ich habe gehört, dass du an der Seite von Taine die Tatorte der Kannibalen-Morde aufgesucht hast.«
    »Stimmt.«
    »Aus welchem Grund?«
    »Als Beraterin.«
    Der Mann schüttelte langsam den Kopf. Die Tränensäcke unter seinen Augen erinnerten an geheimnisvolle Drüsen, die eine Flüssigkeit enthielten, welche von der Zeit und der Erfahrung abgesondert

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