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Im Wald der stummen Schreie

Im Wald der stummen Schreie

Titel: Im Wald der stummen Schreie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grange
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wurde.
    »Seid ihr Arm in Arm von einem Tatort zum nächsten gebummelt?«
    »François fühlte sich mit diesem Fall nicht wohl. Er glaubte, dass ich, sagen wir, einen besseren Riecher hätte.«
    »Obwohl du noch nie derartige Fälle bearbeitet hast?«
    Jeanne wusste jetzt, dass sie es vergessen konnte. Man würde ihr die Ermittlungen zur Brandstiftung in der Rue Moncey nicht übertragen. Und auch die Kannibalen-Morde würde man ihr nicht anvertrauen. Vielleicht würde sie gar keine Fälle mehr bekommen ... Richter sind unkündbar, aber viele sind schon kaltgestellt worden.
    »Ich habe mit der Staatsanwaltschaft gesprochen. Auch mit diesem Fall wirst du nicht betraut werden.«
    »Und warum?«
    »Du bist persönlich zu sehr darin verwickelt. Du stehst Taine zu nahe. Dieser Fall bedarf eines neutralen, objektiven, unparteiischen Ermittlers.«
    »Bei diesem Fall braucht man genau das Gegenteil.« Jeanne erhob die Stimme. »Einen hartnäckigen Ermittler, der dem Mörder auf den Fersen bleibt und die Polizisten unter Druck setzt. Jedenfalls niemanden, der Dienst nach Vorschrift macht. Herrgott, wie viele Leichen wollt ihr denn noch?«
    Zum ersten Mal lächelte der Präsident. Seine fleckigen Hände klopften leicht auf seine lederne Schreibunterlage.
    »Jedenfalls wird die Entscheidung ganz weit oben getroffen. Die ganze Sache ist äußerst unangenehm. Drei Morde. Der für das Verfahren zuständige Richter ist bei lebendigem Leibe verbrannt. Ein gefundenes Fressen für die Medien. Das kann die Regierung gar nicht brauchen. Die Justizministerin persönlich hat mich angerufen.«
    Wenn der Fall eine politische Dimension annehmen würde, war der Stillstand bei den Ermittlungen vorprogrammiert. Denn erfahrungsgemäß fielen die Ergebnisse umso dürftiger aus, je mehr Aufwand getrieben wurde. Das Ergebnis würden vor allem Aktenberge sein. Diverse Sicherheitsbehörden und Dienststellen, die sich gegenseitig Konkurrenz machten. Jeanne würde den Fall genau umgekehrt angehen. Ein kleines Team. Ein Duell mit dem Mörder.
    »Es gibt noch etwas anderes«, fuhr der Präsident mit seiner Grabesstimme fort. »Deine Ermittlungen über Osttimor.«
    Sie richtete sich auf. Diesen Fall hatte sie ganz vergessen. Die Vorladungen. Die Resonanz in den Zirkeln der Macht ... Ob Claire die Briefe verschickt hatte?
    »Man hat mich angerufen. Rufnummern, die ich ungern auf dem Display meines Telefons lese.«
    Da hatte sie ihre Antwort. Claire hatte die Vorladungsverfügungen für Gimenez und seine Clique aufgesetzt und durch Gerichtsboten überbringen lassen.
    »Die Ermittlungen stehen ganz am Anfang«, sagte sie lakonisch.
    »Sie haben noch nicht einmal begonnen, nach dem, was ich weiß. Du hast überhaupt nichts in der Hand. Wozu also diese kleine Welt in Unruhe versetzen?«
    »Stehst du hinter mir oder nicht?«
    »Die Anwälte von Gimenez und den anderen werden mit deinen Vorladungen kurzen Prozess machen. Sie werden verlangen, dass du Beweise vorlegst. Ganz zu schweigen davon, dass sie auf deine politische Orientierung hinweisen werden, um zu erreichen, dass dir der Fall entzogen wird.«
    Jeanne schwieg. Der Präsident fuhr fort:
    »Es gibt noch ein Problem. Diese Abhörmaßnahmen, die du angeordnet hast. Ich habe hier die Liste.« Er klopfte abermals leicht auf seine Schreibunterlage. »Ich hätte dich für klüger gehalten. Du wirst die Protokolle nicht verwerten dürfen. Du verletzt die Privatsphäre von Verdächtigen, gegen die du nichts in der Hand hast. Und laut meinen Quellen kam bei der ganzen Aktion auch nichts heraus.«
    »Von welchen Quellen sprichst du?«
    Er tat die Frage mit einer Geste ab.
    »Du handelst zu überstürzt, Jeanne. Das war schon immer dein Fehler. Ein Ermittlungsverfahren ist ein Langlauf. Festina lente. Eile mit Weile ...«
    »Wird mir der Fall entzogen?«
    »Lass mich ausreden.«
    Er zog ein Blatt aus einem Aktenordner heraus – von dort, wo sie saß, konnte sie nicht sehen, worum es sich handelte.
    »Der SIAT hat mich kontaktiert. Ihnen fehlt eine richterliche Anordnung.«
    Jeanne rang die schweißnassen Hände. Der Präsident schwenkte das Blatt.
    »Was hat der Psychiater mit dem Fall zu tun? Warum wurde er abgehört? Wieso hast du keine Anordnung ausgestellt?«
    Jetzt konnte sie nur noch lügen:
    »Diese Abhörmaßnahme betrifft einen anderen Fall.«
    »Das denke ich mir. Welchen?«
    »Den Kannibalen-Mörder. Ich hab einen Tipp bekommen. Dieser Psychiater behandelt den Vater des Mörders.«
    »Weshalb hast du

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