Im Westen geht die Sonne unter
Zufall: die Entwicklung dieser integrierten Schaltkreise war just zum Zeitpunkt abgeschlossen, als die Goldblase ihren ersten Höhepunkt erreichte, wenige Wochen vor dem Ausbruch der SWIFT-Krise. Lauter Zufälle, an die sie nicht im Traum glaubte. Aufgeregt suchte sie nach Dokumenten über die Geschäftsverbindungen der Chip-Firma. Soweit hatten die Kollegen der CIA nicht gedacht. Aus den Papieren ging nur hervor, dass der Elektronikkonzern Bauteile in verschiedene Länder Asiens, Europas und in die Vereinigten Staaten lieferte.
Sie setzte sich an ihren Computer. Die fast allwissende Unternehmens-Datenbank lieferte schnell eine detaillierte Kundenliste der Firma auf Taiwan. Die alphabetisch geordnete Liste war lang. Ihr Puls beschleunigte sich, als sie zum Buchstaben hinunter scrollte, der sie interessierte.
»Heilige Scheiße!«, rief sie plötzlich laut aus.
Mit breitem Grinsen und klopfendem Herzen druckte sie die Seite aus und stürmte ins Büro nebenan. Vor Aufregung vergaß sie diesmal, auf Pause zu schalten.
»Bob, das musst du dir ansehen!«
Er warf einen Blick auf das Blatt in ihren Händen und sagte nur: »SWIFT in Belgien. Na und? Du wirst es nicht glauben, aber das wusste ich schon.«
»Du verstehst nicht«, keuchte sie atemlos. »Die Kundenliste von Chens Firma. Die liefern an SWIFT. Dämmert’s?«
Sein Kiefer fiel herunter. Er starrte eine Weile andächtig auf das Blatt, dann fletschte er die Zähne, als wollte er es auf der Stelle verschlingen. »Es dämmert wie in der verdammten Götterdämmerung«, grinste er.
Wagners ›Ring‹ handelte zwar von einer andern Art Dämmerung, vom Untergang der Götter, aber Allgemeinbildung war eben auch im ›Building‹ Glückssache. Bobs Grinsen steckte sie an. Auch sie lächelte zufrieden und meinte: »Ich wette, die haben vor kurzem neue Bauteile geliefert.«
»Aber zehn zu eins«, stimmte er zu. »Bleibt nur noch, das zu beweisen und herauszufinden, was falsch ist daran. Welche Rolle spielt unser Freund Li bei dieser schönen Geschichte?«
Sie zuckte die Achseln. »Ich weiß nur, dass er mit seiner Investment-Firma an dieser Entwicklung beteiligt war.«
»Die China Connection als Ursache der SWIFT-Krise«, murmelte er nachdenklich. »Für mich deutet alles darauf hin.«
»Aber zehn zu eins«, äffte sie ihn nach.
Sie schloss sich in ihr Büro ein, schaltete alle Telefone stumm und vergrub sich am PC in ihre Recherche. Während der nächsten zwei Stunden war sie für niemanden zu sprechen. Zuerst studierte sie die Protokolle des Telefon- und Datenverkehrs der ›Galaxy Boom Industries‹. Sie ordnete die Gesprächsaufzeichnungen nach den angerufenen Nummern. Taiwan und Zürich interessierten sie in erster Linie. Der Aufwand, die unüberschaubare Datenflut zu sichten, war enorm. Der Computer hatte die archivierten Gespräche lediglich mit Namen und Nummer der Anrufer und Angerufenen und einem Zeitstempel versehen. Kein Hinweis auf den Inhalt. Nicht ein einziges Stichwort. Sie war im Grunde genommen wieder am Punkt, wo sie seinerzeit an ihrem ersten Arbeitstag bei der NSA begonnen hatte: Beim Katalogisieren von schlechtem Englisch und chinesischen Texten. Nur das Wissen, eine heiße Spur zu verfolgen, trieb sie an. Verbissen hörte sie im Schnelldurchgang eine Datei nach der andern ab, versah sie mit brauchbaren Stichwörtern und legte sie so ab, dass man sie ohne umständliches Suchen auch wieder finden würde. Obwohl sie sich nur Ausschnitte der Gespräche anhörte, war sie nach intensiver Arbeit sicher, dass diese Daten keine Geheimnisse offenbarten. Normale Geschäfts-Korrespondenz, nichts weiter. Keine einzige direkte Verbindung aus Lis Hauptquartier, keine Gespräche mit Taiwan.
Sie versuchte es in der andern Richtung, nahm einige Anrufe aus Zürich auf Anschlüsse im ›Galaxy Tower‹ unter die Lupe. Eine Sackgasse, wie sich schnell herausstellte. Alle Anrufe wurden sofort an unbekannte Nummern weitergeleitet. Sie konnten nicht verfolgt werden. Sie schimpfte leise vor sich hin, enttäuscht über die magere Ausbeute der mühsamen Suche. Die Konzentration auf Li war verschwendete Zeit. Der mächtige Drahtzieher war vorsichtig, hinterließ kaum Spuren, ein Teflon-Schurke. Widerwillig wandte sie sich dem zweiten Thema zu, der Verbindung zwischen SWIFT und dem taiwanischen Elektronikkonzern. Diesmal brauchte sie Unterstützung der Europäer. So nannte man die Meute der NSA-Spezialisten, die sich mit Europa befassten. Ein gutes Dutzend Telefonate
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