Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Westen geht die Sonne unter

Im Westen geht die Sonne unter

Titel: Im Westen geht die Sonne unter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Anderegg
Vom Netzwerk:
ziehen. Jeder der Anwesenden kämpfte ums nackte Überleben. Kooperation war gestern, und die Gewinner der Katastrophe saßen nicht am Tisch.
    Die Sitzung endete wie befürchtet ohne Ergebnis. Ihre einzige zynische Befriedigung war, dass der Meteoriteneinschlag auch die arroganten deutschen Exportweltmeister völlig unvorbereitet bis ins Mark getroffen hatte. Die westlichen Industrieländer und Japan bluteten wie die Schweine auf der Schlachtbank. Daran würde auch der kommende G20-Gipfel kaum etwas ändern. Sie machte sich keine Illusionen. Die USA waren allein auf sich selbst gestellt. Die Zeit des Dialogs war vorbei. Sie musste handeln, nur wie wusste sie nicht. 
     
     
     
     
    Fort Meade, Maryland, Dritter Tag
     
    Alex drückte die blinkende Taste auf ihrer Telefonanlage.
    »Kommst du bitte mal rüber?«, fragte Bob.
    Es klang dringend, und er hatte bitte gesagt, stellte sie verwundert fest. »Bin unterwegs.« Sie schaltete den PC auf Pause wie jedes Mal, wenn sie das Büro verließ. Ihr Boss stand am Fenster und betrachtete nachdenklich die kleinen Bäche, die der Regen auf das Glas malte.
    »Kannst du mir erklären, was wir mit einem verdammten SWIFT-Problem zu tun haben?«, fragte er, ohne sich umzudrehen.
    »Wieso fragst du?«
    »Die Finanzaufsicht und das Fed. Sie haben es nicht ausdrücklich gesagt, aber es war ein Wink mit dem Zaunpfahl. Wir geben jährlich Milliarden aus für unsere Geheimdienste, und niemand hat die Katastrophe kommen sehen. So ähnlich tönte es an der Koordinationssitzung. Ich frage dich nochmals: Was zum Teufel geht uns das an, wenn die Belgier ihr Netz nicht im Griff haben?«
    »Mehr als uns lieb ist?«
    Er riss sich abrupt los vom Schauspiel des Regenwassers und schaute sie irritiert an. »War das eine Frage?«
    »Ich bin mir, ehrlich gesagt, nicht sicher.«
    »Was soll das jetzt heißen?«
    »SWIFT ist zwar ein gut gesichertes geschlossenes Netz, aber es ist global und von entscheidender Bedeutung für unser Finanzsystem. Damit ist es ein natürliches Ziel für Cyber-Attacken, und das fällt ja wohl in unsere Zuständigkeit. Im Übrigen hören wir sie ja längst ab.«
    »So kann man’s natürlich auch sehen«, knurrte er.
    »Da ist noch etwas. Ich finde es reichlich merkwürdig, dass die SWIFT-Krise ausgerechnet jetzt ausbricht, nachdem sich die Situation auf dem Devisen- und Edelmetallmarkt dank unsern Freunden aus Macao derart zugespitzt hat. Findest du nicht auch?«
    »Der Gedanke ist mir gekommen«, murmelte er. »Umso schlimmer für uns, falls ein Zusammenhang mit der China Connection besteht.«
    Sie nickte. Wo er recht hatte, hatte er recht. »Wir hätten so etwas voraussehen müssen.«
    »Eben.«
    »Leider ist uns das fehlende Glied in der Beweiskette abhanden gekommen. Ich bin sicher, dass uns Dr. Chen genau davor warnen wollte, nur habe ich bisher keinen Nachweis gefunden.«
    »Dr. Chen könnte der Schlüssel sein«, meinte er gedankenverloren. »Das erinnert mich an etwas.« Er ging zu seinem überquellenden Eingangsfach, zog ein dickes gelbes Couvert aus der unbearbeiteten Post und reichte es ihr. »Das ist vor zehn Minuten reingekommen. Vielleicht findet sich da ein Hinweis.«
    Sobald sie den Absender und die in fettem Rot aufgedruckte Geheimhaltungsstufe bemerkte, brach sie das Siegel wie elektrisiert auf und öffnete den Umschlag. »Langley hat endlich geliefert«, murmelte sie, während sie in Windeseile durch die Papiere blätterte. Die CIA hatte ihren heiklen Unterstützungsantrag endlich erhört und Chens Geschichte und Umfeld auf Taiwan vor Ort recherchiert. Erfolgreich, wie sie nach dem ersten Eindruck hoffte. »Das muss ich mir ansehen«, sagte sie auf dem Weg zur Tür.
    »Tu das. Geben wir’s dem Scheißkerl.«
    Welchen Scheißkerl er meinte ließ er offen. Es interessierte sie nicht weiter. Hastig räumte sie ihren Schreibtisch leer, dann breitete sie die Unterlagen aus Langley aus. Die Papiere waren nach einer rätselhaften Logik gebündelt, aber die Kollegen vom Außendienst hatten gründliche Arbeit geleistet. Sie brauchte nicht lange, bis sie die Blätter auf dem Tisch dazu brachte, ihr das Wichtigste aus Chens Lebensgeschichte zu erzählen. Einschließlich erstaunlicher Einblicke in sein Privatleben, seine Spielsucht und die Liebe zu den Goldfischen. Er hatte jahrelang an einem einzigen Projekt gearbeitet, einen neuartigen Chip entwickelt für einen Elektronik-Giganten in Hsinchu, wo sich viele solcher Firmen angesiedelt hatten. Und noch ein

Weitere Kostenlose Bücher