Im Westen geht die Sonne unter
und die Drohung mit Bob förderte schließlich die Information zutage, die sie erhofft hatte. Zwei Monate waren seit der letzten Lieferung der Chip-Firma an SWIFT vergangen. Seitdem hatte man die neuen Einschübe schrittweise in die Übermittlungsrechner der Rechenzentren in Holland, den USA und der Schweiz eingebaut. Das Netz brach zwar erst später zusammen, aber die Sache stank zum Himmel. Es musste einen kausalen Zusammenhang geben, davon war sie felsenfest überzeugt. Sie hatte nur nicht die geringste Ahnung, wie der aussehen sollte. Der Lieferant musste mit den Boards eine Art raffiniert versteckter Zeitbombe eingeschleust haben. In Lis Auftrag, auch das war mehr als eine Vermutung nach Dr. Chens Anruf und ihren Recherchen. Was war die Motivation? Darüber konnte sie nur spekulieren. Sie würde sich später eingehend darum kümmern.
Sie griff zum Telefonhörer, um Bob die erfreuliche Erkenntnis mitzuteilen. Noch bevor sie die Taste drückte, erwachte ihr PC zum Leben. Ein Piepston kündete den Eingang einer neuen Mail an. Ihr Nachrichtenfilter schlug an: Der Computer hatte ein möglicherweise wichtiges Telefongespräch aufgezeichnet. Anrufer: Eine Nummer aus Lis goldenem Turm in Macao. Der Anruf richtete sich an die Bank ›Escher, Stadelmann & Co‹ in Zürich, Lis Schweizer Hausbank.
»Endlich«, rief sie aus.
Erregt öffnete sie die Nachricht und hörte das Telefonat ab. Es war sehr kurz, aber umso wichtiger. Sie brauchte es nicht einmal ins Englische zu übersetzen. Und sie kannte die Stimme, wenn sie nicht alles täuschte. Lis Vorzimmerdame bestätigte der Bank den Besuchstermin ihres Chefs in Zürich: 21. Oktober 11:00 Uhr. Ein paar Sekunden später stand sie wieder in Bobs Büro.
»Die Air Force müsste seinen verdammten Privatjet abfangen«, knurrte er verbittert, nachdem er die Neuigkeit gehört hatte. »Ein paar Stunden in den Händen der CIA würden auch diesen Vogel wunderschön zum Singen bringen. Verfluchter Mist.«
Alex traute den Methoden aus Langley nicht unbedingt, aber sie musste Bob zustimmen. Li zum Reden bringen, das war der Kern des Problems. »Gibt es wirklich absolut keine Möglichkeit, Li oder die Bank abzuhören?«, fragte sie, obwohl sie die Antwort längst kannte.
Bob schaute sie fast mitleidig an. »Eine Schweizer Bank verwanzen, der Traum aller Geheimdienste«, spottete er. »Das haben schon viele versucht. Whistleblowers sind die einzige Möglichkeit, Informationen aus denen herauszuholen. Und wie einfach es ist, Li eine Wanze unterzujubeln, hast du ja selbst erfahren.«
Der Nachmittag hatte so vielversprechend begonnen. Jetzt saßen sie auf einem Haufen neuer Informationen und waren doch kaum einen Schritt weiter. Sisyphus, und der Fels rollte schon wieder den Hang hinunter. Bevor die Enttäuschung sie völlig verstimmte, packte sie ihre Sachen und fuhr nach Hause. Sie ließ ein heißes Bad einlaufen, schaltete die depressiven News im Fernseher stumm, bevor sie ins Wasser glitt und bis zur Nasenspitze in den Schaum tauchte. Der Geruch des Shampoos erinnerte sie an einen Morgenspaziergang im Wald des Harford County. Sonnenstrahlen fielen durch das Blätterdach, küssten das Laub am Boden, wärmten die beiden einsamen Wanderer. Verliebt blickte sie den Mann an ihrer Seite an, bis sie jäh aus ihrem Tagtraum hochschreckte. Nicht Ryan lächelte sie an. Das falsche Grinsen ihrer verflossenen großen Liebe störte das idyllische Bild. Der Lump war Vergangenheit, längst begraben, doch immer wieder tauchte der Verräter vor ihrem geistigen Auge auf und versetzte ihr neue Stiche ins Herz. Sie stieg aus der Wanne. Vor Nässe triefend, mit Schaumpelzchen an den Brüsten, rannte sie in die Küche. Sie zerrte den Vorratsschrank auf, brach ein Stück von der zartbitteren Schokolade ab, gerade so groß, dass es in den Mund passte und begann genussvoll daran zu saugen. Das süße Bukett explodierte in ihrem Gaumen, während sie sich ein zweites Mal ins Wasser gleiten ließ. Innere und äußere Wärme rückten die vergebliche Mühsal des Tages in den Hintergrund. Sie verdrängte das ›Building‹, Macao und Taiwan aus ihren Gedanken, schaffte Platz für Angenehmeres in ihrem Kopf. Bloß – da war nichts. Nichts als Leere und, natürlich, die ungestillte Sehnsucht nach dem Mann, den das Schicksal nicht für sie bestimmt hatte. Sie saß mit hängenden Schultern in der Wanne, schaute zu, wie eine Blase nach der andern platzte, bis nur noch ein dünner Schaumschleier auf dem Wasser trieb.
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