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Im Westen geht die Sonne unter

Im Westen geht die Sonne unter

Titel: Im Westen geht die Sonne unter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Anderegg
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beobachtete die Reaktion der Zuhörer. Befriedigt fuhr er weiter: »Seltene Erden, insbesondere Neodym und Dysprosium, sind Rohstoffe von nationaler Bedeutung für die Vereinigten Staaten. Ohne sie gibt es keine modernen Waffensysteme, keine effizienten Elektromotoren, keine Generatoren für Windturbinen, keine Hybrid- und Elektroautos, keine moderne Beleuchtung, noch nicht einmal vernünftige Wasserfilter. Wir wissen das spätestens seit dem ›GAO‹ Report vom April 2010. Aus dem gleichen Report erfahren wir, dass die USA den Abbau und die Verarbeitung dieser Metalle in den letzten Jahrzehnten sträflich vernachlässigt haben. Die letzte Mine auf unserem Boden, Mountain Pass, war einmal der weltweit größte Produzent Seltener Erden, bis sie 2002 aus Umweltschutzgründen stillgelegt werden musste. Inzwischen produziert die Volksrepublik China 97% des Weltbedarfs dieser Metalle. Jetzt hat Mountain Pass den Betrieb langsam wieder hochgefahren, bis zur Katastrophe am 9. März. Mit andern Worten: der Nachschub für große Teile der Streitkräfte und den Energiesektor unseres Landes ist jetzt auf Jahre hinaus vollständig abhängig von unseren Freunden im Reich der Mitte.«
    Nach einer Schrecksekunde brach der Tumult umso heftiger los. Bob ließ sich nicht beirren, wartete geduldig, bis sich die Aufregung wieder legte. Die Entrüstung seiner Zuhörer war geheuchelt. Jeder wusste das. Er traute sich einfach als Erster, den explosiven Verdacht laut auszusprechen. Man konnte es drehen und wenden wie man wollte: die Tatsachen deuteten auf die Möglichkeit hin, dass China seine Hand im Spiel hatte. Wäre das der Fall, käme es einer Kriegserklärung gleich. Dann könnten alle hier im Raum zusammenpacken und an den Strand fahren, Muscheln suchen. Dann wäre die Sache höchstens noch mit diplomatischen Mitteln aus der Welt zu schaffen.
    »Ihre Reaktion zeigt mir, dass Ihnen der Gedanke nicht fremd ist«, sagte er rundheraus, und keiner widersprach. »Verstehen Sie mich nicht falsch. Wir verfügen noch über keine gesicherten Erkenntnisse. Es ist bisher nur eine offensichtliche Richtung, in die wir ermitteln müssen. Unsere Spezialisten haben begonnen, den Telefon- und Mailverkehr im Vorfeld des Attentats entsprechend zu analysieren.«
    Ken Browns Mundwinkel drohten aus dem Gesicht zu fallen, als er mit Grabesstimme fragte: »Scheiße, Bob, was erzählen wir dem Sicherheitsberater?«
    Bob zuckte die Achseln. Er war genauso ratlos wie alle andern. Nach einigem Zögern antwortete er schließlich: »Wenn wir die Möglichkeit nicht erwähnen, könnte uns die Wirklichkeit schneller einholen, als uns allen lieb ist.«
    »Scheiße«, wiederholte der Sitzungsleiter düster. »Michael wird an die Decke gehen.«
    Das ist allerdings das kleinste Problem, dachte Bob.
    Fort Meade, Maryland
    Der rote Nissan reihte sich in die Kolonne auf der rechten Fahrbahn des Baltimore-Washington Parkway ein. Vor der Ausfahrt mit der schlichten Bezeichnung ›NSA nur für Angestellte‹ hatte sich ein Stau gebildet.
    »Willkommen in Crypto City«, murmelte Alex, als sie der langen Autoschlange ins dichte Waldstück hinein folgte, hinter dem sich das Gelände ihres neuen Arbeitgebers verbarg. Fort Meade, der Sitz der Nationalen Sicherheitsbehörde, des weitaus größten und teuersten Geheimdienstes der Vereinigten Staaten. Eine Stadt für 40'000 Angestellte hinter elektrischen Sicherheitszäunen, elektronisch so vollkommen abgeschirmt, dass sogar das Navigationsgerät im Auto verrückt spielte, als sie sich ihr näherte. Nach dem jüngsten Ausbau war die Fläche der Bürogebäude auf beinahe die doppelte Größe des Pentagon angewachsen. Allein die Parkplätze würden für fünf komplette Baseballstadien ausreichen, hatte der Instruktor bei ihrem letzten Interview stolz versichert. Wie man auf große Zahlen stolz sein konnte, war ihr stets ein Rätsel. Baseball interessierte sie noch weniger. Sie hatte sich für diesen Job entschlossen, weil ihr die Arbeit als Korrespondentin des ›Wall Street Journal‹ in Peking zu eintönig wurde. Vielleicht wollte sie auch einfach wieder zurück nach Baltimore. Falsch, sie hatte einen besseren Grund: die NSA hatte sie angefragt. Diesem verschwiegensten aller Geheimdienste schickte man nicht einfach seine Bewerbung. Sie holten einen. Alex machte sich keine Illusionen. Die Scouts der NSA waren nicht durch ihre guten Abschlüsse und die paar Jahre Erfahrung als Ökonomin und Journalistin auf sie aufmerksam geworden.

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