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Im Westen geht die Sonne unter

Im Westen geht die Sonne unter

Titel: Im Westen geht die Sonne unter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Anderegg
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Lächeln erschien auf ihrem Gesicht. »Weißt du was das ist?«, fragte sie, auf das Gerät im Koffer deutend.
    »Telefon?«
    »Vielleicht auch. Vor allem ist es ein Chiffriergerät. Und das hier ...« Sie schwenkte das Heft. »Das hier ist die Anleitung dazu. Vermutlich werden die Chips bei SWIFT mit einer Code-Sequenz aus diesem Computer manipuliert. Jedenfalls wurde das Gerät nicht für die Verschlüsselung der andern Dokumente benützt. Die sind Klartext. Besprechungsnotizen, Protokolle, Firmengeheimnisse und eine schöne Reihe Namen. Wie ein Röntgenblick in die Innereien von Lis Imperium. Bis jetzt habe ich allerdings nichts gefunden, was direkt mit dem SWIFT-Fall in Verbindung steht.«
    »Aber ich«, grinste er mit einem Blick auf den vielversprechenden Inhalt des Koffers.
    Sie las weiter im Heft. »Da steht etwas von Aktivierung und Deaktivierung, wenn ich die traditionellen Schriftzeichen richtig interpretiere.«
    »Aktivierung«, wiederholte er in Gedanken versunken. Plötzlich schlug er sich mit der flachen Hand an die Stirn. »Ich Idiot«, rief er aus. »Es ist doch ganz einfach. Ich habe mich gefragt, wie die es schafften, die SWIFT-Blockade gezielt zu einem ganz bestimmten Zeitpunkt auszulösen. Es war keine versteckte Zeitbombe. Sie mussten noch nicht einmal ins SWIFT-Netz einbrechen, was praktisch unmöglich wäre. Ich bin sicher, diese Chips reagieren auf bestimmte Aktivierungscodes, die mit ganz normalen SWIFT-Meldungen transportiert werden. Ein entsprechender Kommentar im Feld 70 genügt, um die Router mit diesen Chips zu blockieren. Und eine solche Meldung kann jede Bank senden.«
    »›Escher, Stadelmann und Co‹, meinst du?«
    »Zum Beispiel.«
    Die Vermutung lag auf der Hand. Wahrscheinlich wussten die Verantwortlichen in der Bank gar nicht, was sie taten. Kopfschüttelnd wandte sich Alex wieder den Archivboxen zu, als sie beide gleichzeitig zusammenzuckten. Auf dem Schreibtisch klingelte das Telefon.
     
    Jessie langweilte sich. Seit über einer Stunde steckten die beiden im Fels, und draußen vor dem Tor bewegte sich nichts. Außer ein paar Amseln, die in der Nähe zankten. Sie stieß die angelehnte Autotür ganz auf und trat ins Freie, um die verspannten Glieder zu strecken. Die Vögel flogen erschreckt davon, aber nicht wegen der einsamen Frau mit der lächerlichen Chauffeurs-Mütze. Ein anderes Geräusch hatte sie verscheucht. Wie aus dem Nichts tauchte ein Hubschrauber über den Tannen auf, flog eine haarsträubende Kurve über Jessie, dass sie unwillkürlich den Kopf einzog. Sie glaubte schon, die Maschine würde vor dem Tor landen, doch nach einigen Sekunden zog der Pilot den Hubschrauber hoch. Er verschwand aus ihrem Blickfeld, aber der Rotorlärm blieb. Wie erstarrt hörte sie dem ohrenbetäubenden Knattern zu, bis es unvermittelt erstarb. Gelandet, schoss ihr durch den Kopf, und ein kalter Schauer lief ihr über den Rücken. Versteckt in den Felsen über ihr musste es ein Helipad geben, das sich bestimmt nicht ohne Grund so nahe beim Felstresor befand. »Ein zweiter Eingang«, murmelte sie starr vor Schreck. Mit feuchten Händen kramte sie ihr Telefon hervor. Die Nummer der Zentrale im Berg war bereits eingestellt. Sie drückte auf die Wahltaste.
    »Bank ›Escher, Stadelmann und Co‹«, sagte sie hastig. »Ist Dr. Campbell noch bei Ihnen? Ich muss sie dringend sprechen.«
    Es dauerte eine Ewigkeit, bis die Verbindung stand.
    Alex’ Stimme antwortete. »Ja bitte?«
    »Jessie hier«, rief sie aufgeregt. »Ein Hubschrauber – gelandet – ich weiß nicht, was ...«
    »Ein Hubschrauber vor dem Tor?«
    »Nein, droben im Fels. Es muss einen zweiten Zu...«
    »Scheiße, wir kommen raus.«
    Die Leitung war tot.
     
    Ryan hatte schon begonnen, die herumliegenden Papiere in den Koffer mit den Negativen zu stopfen. Die Ankunft eines Hubschraubers mochte nichts Ungewöhnliches bedeuten, aber sie mussten mit dem Schlimmsten rechnen. Blitzschnell verschwinden war jetzt die beste Strategie.
    »Nimm das Handy dort auch mit«, sagte Alex betont ruhig.
    Ihr blasses Gesicht sprach eine andere Sprache. Sie hatte Angst, genau wie er. Sie hievte den billigen Koffer, den sie mitgebracht hatten, vom Schreibtisch, schleppte ihn zum Gestell, warf ihre paar Sachen in Lis Koffer und drängte:
    »Los, wir müssen verschwinden.«
    Ein letzter Blick auf die Goldbarren. Ein einziger davon genügte, das abgebrannte Bed & Breakfast in Weymouth wieder in altem Glanz aufzubauen, dachte er. Aber die verdammten

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