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Im Westen geht die Sonne unter

Im Westen geht die Sonne unter

Titel: Im Westen geht die Sonne unter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Anderegg
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Hier in Fort Meade musste es von Akademikern mit weitaus spektakuläreren Qualifikationen wimmeln. Nein, sie stand jetzt am schwer bewachten Kontrollposten, weil sie fließend Mandarin sprach und chinesische Zeitungen las wie andere Leute die Sportnachrichten in der ›Baltimore Sun‹.
    Nervös wie das erste Mal steckte sie den provisorischen Badge in den Schlitz und gab ihren PIN-Code ein, scharf beobachtet vom SPO mit der Maschinenpistole. Es würde einige Zeit dauern, sich an all die dreistelligen Kürzel zu gewöhnen, mit denen man hier die Funktion der Angestellten bezeichnete. Die Security Protective Officers, die mit den Kanonen, waren einfach die ersten, die ihr von nun an jeden Morgen auf dem langen Weg ins Büro begegneten. Noch zweimal brauchte sie die Chipkarte, bis sie auf dem zugewiesenen Platz parken konnte. Sie achtete peinlich genau darauf, die richtige Nummer zu erwischen. Wahrscheinlich würde sonst sofort irgendein Alarm losgehen. Sie hatte keine Ahnung, wie genau sie beobachtet wurde, aber man konnte nicht vorsichtig genug sein. Jedenfalls am ersten Tag.
    Der Badge verschaffte ihr Zutritt zum ›Building‹, dem schwarz glänzenden Faraday-Käfig des Hauptquartiers. Das feine Kupfernetz in der Glasfassade sollte angeblich keine elektromagnetische Strahlung durchlassen. Kein Telefongespräch, kein Radiosignal, kein Funkverkehr, keine verräterische Strahlung eines Bildschirms drang nach draußen. Sie kam bis zur ersten Schranke, keinen Schritt weiter. Sie legte die Chipkarte auf den Tisch der Eingangskontrolle und sagte betont kühl:
    »Alex Oxley für Bob Wilson.«
    Die Angestellte verglich die Angaben auf dem Badge mit den Angaben auf ihrem Bildschirm, dann gab sie Alex die Karte zurück und nickte einer uniformierten und bewaffneten Kollegin zu, die neben ihr wartete.
    »Folgen Sie mir bitte«, forderte sie diese auf und ging voran in eine Kabine. Wie auf dem Flughafen, nur wesentlich gründlicher. An die Abtasterei musste sie sich wohl oder übel gewöhnen. Sie hatte schon erlebt, dass man sie innerhalb des Gebäudes erneut befummelte, beim Übergang von einer Sicherheitszone zur nächsten. Die Prozedur wickelte sich wortlos ab. Nachdem auch die tausend Kleinigkeiten ihrer Handtasche den Test bestanden hatten, verließen sie die Kabine. Die Frau führte sie zu den Aufzügen mit den Worten: »Folgen Sie mir bitte.«
    Beschränkter Wortschatz, aber der saß perfekt. Alex konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. Mit der Zeit würde auch dieses Ritual lockerer ablaufen, hoffte sie. Nach einem weiteren Kontrollposten und zwei mit Chip und PIN gesicherten Schleusen betraten sie den Korridor auf der siebten Etage, der zu Bob Wilsons Büro führte. Seine Tür stand einen Spalt offen, zu schmal, um einfach einzutreten, zu breit, um nur draußen zu warten. Die Sicherheitsbeamtin trat zurück, stellte sich zwei Schritte hinter ihr auf und beobachtete sie schweigend. Auch aus dem Büro drang kein Ton. Unschlüssig zögerte Alex einen Augenblick, dann klopfte sie kräftig an die Tür und trat ein.
    Am Schreibtisch saß ein smarter, hochgewachsener Mann mit angegrautem Bürstenschnitt, vielleicht um die fünfzig. Den Telefonhörer am Ohr, starrte er auf seine leere Tischplatte und schien sie nicht zu bemerken. In dem Moment, als die Tür hinter ihr ins Schloss fiel, fuhr er auf, dass der Sessel an die Wand prallte. Mit einem Fluch knallte er den Hörer auf die Gabel und schnaubte sie wütend an:
    »Verdammt noch mal, können Sie nicht anklopfen? Wer zum Teufel sind Sie?«
    Unfreundliche Begrüßungen war sie aus ihrem Journalistenleben gewohnt, aber dieser Freund übertraf sie alle. Nur nicht einschüchtern lassen, redete sie sich tapfer ein. Sie war schließlich kein frisch geschlüpftes Küken mehr. Mit flauem Gefühl im Magen versuchte sie es mit Humor:
    »Ich habe Ihnen fast die offene Tür eingetreten, Sir. Entschuldigen Sie. Alex Oxley, Sir. Wir haben einen Termin.« Sie trat mit ausgestreckter Hand auf ihn zu.
    Er ergriff sie gedankenverloren. »Jetzt ist es also soweit«, brummte er undeutlich.
    Sie schaute ihn verwirrt an. »Bitte?«
    »Diese verdammten Chinesen.«
    Mit Mühe unterdrückte sie eine ironische Bemerkung, die ihr auf der Zunge lag und wartete, bis er sie wieder wahrnahm.
    Plötzlich durchbohrte er sie mit Röntgenaugen. »Alex Oxley, sagen Sie«, murmelte er. »Ach so, ich erinnere mich. Die Chinesin.«
    Sie begriff nicht sofort. »Sir?«, fragte sie verblüfft.
    »Nennen Sie

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