Im Westen geht die Sonne unter
mich nicht Sir. Ich bin Bob.«
»O. K., Sir – Bob.«
Zum ersten Mal zeichnete sich so etwas wie ein Lächeln um seinen Mund ab. »Sie kommen keine Sekunde zu früh, Alex. Unsere chinesischen Freunde haben gerade die Grenzen dicht gemacht für sämtliche REE Exporte. Auf unbestimmte Zeit, und der Handel ist eingestellt.«
»REE?«
»Rare Earth Elements« – »Seltene Erden.«
Sie verstand immer noch nichts, stand nur da und wartete auf weitere Erklärungen. Ihr neuer Boss dachte nicht daran.
»Worauf warten Sie?«, fragte er nach einer Weile, nachdem er schon wieder zum Telefon gegriffen hatte. Er streckte die Hand aus, zeigte ungefähr in die Richtung, aus der sie gekommen war und ergänzte gehetzt: »Melden Sie sich beim SSO, 7120, Flur hinunter links.
Du mich auch, dachte sie ernüchtert, als sie Bobs Büro verließ. Das war vielleicht ein Früchtchen. Führten sich hier alle so auf? Ihr erster Arbeitstag begann etwas anders, als sie sich ausgemalt hatte. Sie fragte sich, ob es ein gutes oder schlechtes Zeichen war, wenn Bob sie so rasch abfertigte. Sein Verhalten ließ keinen eindeutigen Schluss zu.
Der ›Staff Security Officer‹ stellte sich als freundliche Frau heraus. Die erste Person, die sie an diesem Morgen begrüßte, wie das unter normalen Menschen üblich war.
»Ich bin Vanessa, Vanessa Taylor«, sagte sie lächelnd, während sie sich die Hand gaben. »Willkommen bei den Freaks, Alex.«
»Danke. Tut richtig gut, mit jemandem reden zu können.« Es war keine leere Floskel. Nach der verstörenden kalten Dusche vorhin fühlte sie sich sogar bei der Sicherheitsbeauftragten gut aufgehoben, die man sonst besser mied.
»Bob hatte wohl keine Lust, sich zu unterhalten«, meinte Vanessa, als sie sich setzten.
»Ist er immer so gut drauf?«
Vanessa schüttelte den Kopf. »Nicht immer. Manchmal hat er auch richtig schlechte Tage.«
Gute Nacht, wollte sie antworten, ließ es aber bleiben. Zu unsicher war sie, wie weit sie dem Humor des SSO trauen konnte.
»Wie auch immer, bringen wir’s hinter uns.«
Die meisten Fragen der Eintritts-Checkliste kannte Alex aus der Zeit der Interviews und Eignungstests in Crypto City. Ihr neuer Arbeitgeber war berüchtigt dafür, alles und jeden gründlich auszuspionieren. War ja auch der Hauptzweck dieser ganzen Stadt. Offenbar betrieb man das Sammeln von Information bei den eigenen Mitarbeitern besonders gründlich. Ihr machte das nichts aus. Sie war freiwillig hier und hatte nichts zu verbergen. Sie fand die Fragen nach engen und dauerhaften Beziehungen zu Nicht-US-Bürgern oder der Absicht des Angestellten oder eines Mitglieds seiner Familie, mit einer solchen Person zusammenzuziehen oder sie zu heiraten eher belustigend. Sie hatte ohnehin nicht vor, sich zu binden, obwohl das ihren geschiedenen Eltern nicht passte.
Eine Stunde später war auch dieser Fragebogen überstanden. Endlich betrat sie das Büro, in dem ihr neuer Arbeitsplatz auf sie wartete. Vanessa stellte sie kurz vor, dann verabschiedete sie sich mit der Bemerkung: »Die Arbeit ist in der Mailbox. Viel Spaß.«
Der junge Kollege gegenüber reckte den Hals und grinste sie freundlich über den Rand seines Bildschirms an. »Siehst gar nicht aus wie eine Chinesin«, lachte er mit seinem Kindergesicht. »Ich bin Minimax.«
Erst jetzt sah sie, dass der Kollege stand. Er maß kaum mehr als fünf Fuß. Ohne die kräftigen Arme hätte er gut als Teenager durchgehen können. Unwillkürlich grinste sie zurück und fragte: »Hat hier niemand einen richtigen Namen?«
»Im Gegenteil. Es ist eine Ehre, einen Spitznamen zu tragen. Man muss ihn sich hart erarbeiten.«
»Davon habe ich allerdings noch gar nichts bemerkt«, brummte sie.
»Warte, bis du die Mailbox öffnest.«
Neugierig loggte sie sich das erste Mal ein. Während das System ihre Arbeitsumgebung automatisch einrichtete, schweifte ihr Blick zu den andern Pulten. Etwa zwanzig Männer und Frauen, teils in Armee-Uniformen, arbeiteten an ihren Bildschirmen, ohne voneinander Notiz zu nehmen. Nicht anders als in der Redaktion, bloß ruhiger. Das System war bereit. Ein Klick öffnete den elektronischen Briefkasten.
»Du lieber Himmel«, rief sie laut aus. 263 ungelesene Meldungen!
»Was habe ich gesagt?«, grinste Minimax.
Während sie die erste Nachricht las, eine kurze Instruktion, was mit den andern Texten zu tun war, trafen laufend neue Meldungen ein. Genervt stellte sie den Alarm auf stumm. Ihre erste Aufgabe bestand darin, hunderte chinesischer
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