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Im Westen geht die Sonne unter

Im Westen geht die Sonne unter

Titel: Im Westen geht die Sonne unter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Anderegg
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er die ganze Freizeit und sein halbes Vermögen einsetzte. Er stellte das Museumsstück ausschließlich auf seinem zugewiesenen Platz unmittelbar neben dem Eingang ab. Es war schon vorgekommen, dass er wieder nach Hause zurückfuhr, nur weil ein verblödeter Ignorant es gewagt hatte, seinen Platz zu besetzen.
    Die asthmatische Hupe des MG stoppte Ryan, bevor er den Torbogen erreicht hatte. Irwyn begrüßte ihn mit einem freundschaftlichen Klaps auf die Schulter, schüttelte seinen Pferdeschwanz und fragte:
    »Etwas Brauchbares dabei?«
    Ryan hatte sich an die kühnen Gedankensprünge des Professors gewöhnt, aber die Frage erwischte ihn kalt. »Dabei – wobei?«, stammelte er verblüfft.
    Irwyn warf ihm einen mitleidigen Blick zu. »Ich verstehe ja, dass dich die Arbeit nicht antörnt. Geht mir auch so, deshalb überlasse ich sie dir. Aber die Übungen müssen nun mal korrigiert werden.«
    »Ach du grüne Neune!«, rief Ryan aus. Er blieb stehen und spürte, wie sein Gesicht rot anlief. »Mist. Total vergessen, tut mir leid. Ich habe die halbe Nacht an den Auswertungen gefeilt.«
    »Ist ja noch nicht zu spät«, beruhigte Irwyn spöttisch. »Ich brauche die Korrekturen erst am Nachmittag.«
    Mit einem unterdrückten Fluch trottete er hinter dem Professor her ins Haus. Die Zeit, die er mit der Routinearbeit eines Assistenten vergeudete, hätte er dringend für seine Studie der Finanzblasen benötigt. Er war im Verzug, sein Zeitplan drohte durcheinanderzugeraten. Wenn er die dreizehn Übungsblätter des akademischen Nachwuchses bis Mittag korrigieren wollte, musste er die Besprechung mit Irwyn kurz halten. Nicht gut. Gerade jetzt brauchte er seinen Rat, um den Schwerpunkt der Dissertation neu festzulegen.
    Seit zwei Jahren beschäftigte er sich mit einem unmöglichen, aber umso spannenderen Thema, der Vorhersage von Finanzblasen. Die ganze bisherige Literatur der ökonomischen Theorien ging davon aus, dass man das Platzen von Finanzblasen nicht vorhersagen kann. Bisher glaubte man, dass eine Blase erst im Nachhinein überhaupt zu erkennen sei, nachdem sie geplatzt ist. Erst nachdem die Preise für eine Kategorie von Wertpapieren, Waren oder Währungen zusammengebrochen waren, konnte man die Diagnose Finanzblase stellen. Daran glaubte er längst nicht mehr. Seine Arbeit beruhte auf den in Fachkreisen spektakulären Erkenntnissen einer Forschergruppe an der ETH Zürich aus den Jahren 2009, 2010. Physiker und Mathematiker hatten damals die These aufgestellt, dass sich Finanzblasen fru¨hzeitig erkennen lassen, bevor sie platzen und dass man voraussagen kann, wann die Blase platzen wird. Die Gruppe, die sich ›Financial Crisis Observatory‹, FCO, nannte, konnte mit ihrem ›Financial Bubble Experiment‹ tatsächlich mehrere Blasen korrekt eingrenzen. Im Gegensatz zu den gängigen Theorien ging das FCO davon aus, dass sich die Preise an den Märkten während einer Spekulationsblase superexponentiell verhalten. Die Preise stiegen nicht einfach mit einer konstanten Geschwindigkeit, sondern die Geschwindigkeit des Preisanstiegs nahm selbst rasant zu. Ganz nach dem Motto: je teurer eine Ware, desto begehrter wird sie. Um das zu erkennen, beobachteten sie Indikatoren wie die Anzahl der ›guten Tage‹, Tage, an denen der Preis stieg in einem gewissen Zeitraum, und die Wachstumsrate des Preises. Das Modell des FCO war zwar komplex, nahm sich aber doch eher bescheiden aus im Vergleich zu seiner Arbeit. Trotzdem konnten die Forscher in Zürich schon die Goldblase von 2010 erstaunlich genau voraussagen. Ihre Prognose lautete, dass der Goldpreis zwischen dem 13.10.2009 und dem 7.9.2010 mit einer Wahrscheinlichkeit von 95% einbrechen werde. Für das engere Zeitfenster vom 5.11.2009 bis 25.2.2010 gaben sie eine Wahrscheinlichkeit von 60% an. Im Januar 2010 zerfiel der Preis innerhalb weniger Tage um über zehn Prozent, nach einem Anstieg von 18% während knapp zwei Monaten.
    »Was gibt’s denn an deinen Daten zu feilen?«, fragte Irwyn, als sie sich in seinem Büro auf das alte Bentley-Polster setzten.
    »Nicht an den Daten, natürlich. Die Darstellung gefiel mir noch nicht. Ich glaube, jetzt habe ich eine bessere Visualisierung gefunden.« Die neuen Grafiken vermittelten dem Betrachter auch ohne viel Text, was er aussagen wollte. Den Zahlenfriedhof seiner unzähligen Modellrechnungen anschaulich darzustellen, war beinahe die größte Herausforderung seiner Arbeit. Visualisierung, eine Wissenschaft für sich im Zeitalter der

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