Im Westen geht die Sonne unter
fallen, hockte in der Mitte des Schlafzimmers und kam langsam wieder zu sich. Die Wohnung war leer, aber die ungebetenen Besucher hatten gründliche Arbeit geleistet. Papiere, Fotos, umgestürzte Möbel, ausgeleerte Schubladen lagen überall herum. Bilder hatten sie von den Wänden gezerrt, aus dem Rahmen gerissen. achtlos auf den Boden geworfen und zertrampelt. Kein Schubfach, keinen Schrank, keine noch so kleine Ablage in einer dunklen Ecke hatten sie vergessen. Sogar im hohlen Fuß der WC-Schüssel hatten sie gesucht. Die Wohnung sah aus, als wäre ein Taifun hindurchgefegt.
»Verfluchte Hurensöhne«, knirschte er in ohnmächtiger Wut. In diesem Chaos brauchte er nicht nach Erics Beweisen zu suchen. Wenn der Alte hier Dokumente aufbewahrt hatte, die der Firma oder dem sauberen Mr. Li gefährlich werden konnten, hatten die Einbrecher sie gefunden. Ernüchtert schlenderte er zurück ins Wohnzimmer, das einmal eine gemütliche Stube gewesen war. Eine tiefe Trauer erfüllte ihn beim trostlosen Anblick. »So sieht es also aus, wenn eine Welt zusammenbricht«, sagte er bitter zum Goldfisch, der ihn durchs dicke Glas des Aquariums anglotzte. Der Behälter mit den Glücksfischen war als einziger heil geblieben. Die Fische durfte man nicht stören, wenn man sich nicht selbst ins Unglück stürzen wollte. Die Fische – das Aquarium, natürlich! Warum hatte er nicht vorher daran gedacht? Die Rückwand bestand aus einem Gemälde, das die Illusion einer Unterwasserlandschaft erzeugen sollte. Es gelang ihm, den schweren Fischtank etwas von der Wand wegzurücken. Nur eine Handbreit. Er fasste in die Lücke. Seine Fingerspitzen berührten loses Papier. Unendlich erleichtert zog er ein Blatt nach dem andern aus dem Versteck. Zehn Seiten hatte Eric kopiert. Danny presste die Dokumente an seine Brust, als hielte er Erics kostbares Vermächtnis in den Händen.
Kapitel 8
Parkhotel Bürgenstock, Zentralschweiz
Je größer Dannys Abneigung gegenüber Li und seinen Schergen wurde, desto inniger schien der gefährliche Mann ihn in sein Herz zu schließen. Es hatte Danny erhebliche Überwindung gekostet, nach Erics Tod nicht sofort die Flucht zu ergreifen. Aber sie waren auf ihn und sein Spezialwissen angewiesen. Er hatte nichts zu befürchten – noch nicht. Für ihn war dies auf jeden Fall die letzte Reise mit Li. Der eiskalte Herrscher über Milliarden hatte Eric regelrecht hinrichten lassen, auch wenn ihm das niemand nachweisen konnte. Ein Mord wegen zehn Seiten, auf denen technische Spezifikationen und ein paar Adressen standen. Danny begriff noch immer nicht, warum Erics Entdeckung so brisant war, dass man dafür ohne weiteres ein Menschenleben opferte. Li hatte ihn die ganzen Jahre benutzt, um einen Plan umzusetzen, von dem man mit Sicherheit nichts Gutes erwarten durfte. Und hier in den Schweizer Alpen würde er seine letzte Pflicht erfüllen und Lis Auftrag endgültig abschließen.
Eingeklemmt zwischen Li, seinen beiden Gorillas und dem unbekannten, hypernervösen Banker Bauer vom Zürcher Paradeplatz stand er in einem schwindelerregenden Schüttelbecher. Es sei die älteste Standseilbahn der Schweiz, hatte Bauer stolz verkündet, und genauso fühlte sich die Fahrt an, die sie vom Ort mit dem unaussprechlichen Namen Kehrsiten am See auf den Bürgenstock brachte. Wie ihm schien, spielte der Banker den Reiseführer nicht zum ersten Mal für seinen bevorzugten Kunden Li. Rundum-Service. Dazu gehörte wohl auch Bauers Hand auf Mei Tans Arschbacke. Die Schlange würdigte den smarten Schweizer keines Blicks, so wie die Herrin den Sklaven nicht beachtet. Die heimliche Interaktion der beiden machte die Schlange beinahe sympathisch in Dannys Augen. Die Fahrt in der offenen Kabine führte haarsträubend steil den Berg hinauf. Stets mit einem Lächeln auf den Lippen, drängte sich Li diskret an die Wand, möglichst weit weg vom Geländer über dem gähnenden Abgrund. Li der Angsthase, dachte Danny schmunzelnd, aber auch er vermied es, nach unten zu schauen. Sein Blick schweifte zu den Hügeln und wolkenverhangenen Bergketten am Horizont, die den See umrahmten. Eine Landschaft, wie sie auch in seiner Heimat anzutreffen war, mit dem Unterschied, dass dort noch Wald wuchs wo hier ewiger Schnee lag.
Oben auf dem Bürgenstock, fast fünfhundert Meter über dem See, war die Luft merklich kühler. Er fröstelte und war froh, dass die Sitzung in einer verschwiegenen Suite im Haus und nicht auf der windigen Terrasse des Hotels
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