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Im Westen geht die Sonne unter

Im Westen geht die Sonne unter

Titel: Im Westen geht die Sonne unter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Anderegg
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Verschlüsselungsgerät diente. Texte, die dieser Computer verschlüsselte, konnten von der Firmware in den Chips, die sie entwickelt hatten, wieder entschlüsselt werden. Solche Tests jedenfalls hatten sie Tausende durchgeführt.
    »Dr. Chen wird nun den Code für Sie generieren«, sagte Li pathetisch, während er ihm das Gerät wieder hinschob. »Es ist eine komplizierte Prozedur. Entschuldigen Sie, Mr. Bauer, wenn wir uns kurz in unserer Sprache unterhalten.« Er zog ein schwarzes Büchlein aus der Tasche. »Ich schreibe Ihnen den Klartext auf«, sagte er in seinem schnellen Kantonesisch. Er klappte das Buch, einen Taschenkalender, auf. Ein Kärtchen fiel heraus. Er stutzte einen Augenblick, dann wischte er es ärgerlich vom Tisch wie man eine lästige Ameise beseitigt. Während er schrieb, murmelte er: »Ein Text, den ich mir schon früh gemerkt habe, und an den sich andere Leute auch halten sollten.« Er riss das Blatt aus der Agenda und gab es Danny. »Geben Sie das ein, mit Leerzeichen und dem Punkt am Ende«.
    Er hatte den chinesischen Text in der Pinyin-Umschrift geschrieben, in lateinischen Buchstaben. Danny kannte den alten Sinnspruch dem Inhalt nach. Er bedeutete soviel wie:
     
    Die Weisheit des Lebens besteht im Ausschalten
    der unwesentlichen Dinge.
     
    Sein Chiffriergerät war bereit. Sorgfältig tippte er den Text ein, dann ein zweites Mal ins Kontrollfeld, um Fehler auszuschließen. Nachdem auch Li die Eingabe überprüft hatte, drückte er auf die START-Taste. Augenblicklich erschien die verschlüsselte Zeichenkette im unteren Bereich des Bildschirms. Eine lange Schlange scheinbar zufällig angeordneter Ziffern und Buchstaben. Das Gerät hatte den weisen Spruch in einen unleserlichen Bandwurm aus 142 Hexadezimalziffern verwandelt:
     
    61666a6b686475767a2070696272622076767072767776626c636f766b6f20702d38776566697766687569317a3736323938646e7661393966396b64202e73646b6a6b6a747a2c
     
    »Wunderbar«, rief Li aus, nahm das Kästchen behutsam in die Hand, als handle es sich um das kostbarste Stück seines antiken Porzellans. »Das ist also unsere geheime Botschaft, Mr. Bauer.«
    Der Banker starrte konsterniert auf den Buchstabensalat. »Das – ist – sehr ungewöhnlich«, stammelte er nach einer Schrecksekunde.
    »Ah – ungewöhnlich, Sie sagen es. Aber wichtig. Vergessen Sie nicht, was ich gesagt habe. Ein winziger Fehler bei der Eingabe dieses Codes macht unser ganzes Geschäft zunichte. Dann wäre alles sinnlos gewesen, Mr. Bauer.«
    Danny fragte sich, was er unter ›alles‹ verstand. Die eindringliche Bemerkung hörte sich an, als hinge sein Leben an diesen 142 Zeichen. Bauer ergab sich in sein Schicksal und zückte sein schwarzes Notizbüchlein, doch Danny winkte lächelnd ab. »Sie brauchen den Code nicht aufzuschreiben, ich drucke ihn aus«, beruhigte er den Banker. Er nahm das Gerät wieder an sich. Nach wenigen Handgriffen spuckte es einen Papierstreifen mit der wirren Zeichenfolge aus.
    »Alles klar«, murmelte Bauer, der sich offensichtlich bemühte, Haltung zu wahren und weiterhin einnehmend zu lächeln.
    Li rieb sich vergnügt die Hände. »Überraschung gelungen, Mr. Bauer?«, kicherte er.
    »Kann man wohl sagen. Aber warten Sie, bis ich Ihnen unsere Berge zeige. Ich glaube, die Sonne meint es gut mit uns.«
    Wie man’s nimmt, dachte Danny gereizt. Für ihn war die Sache erledigt. Es zog ihn nur noch weg von diesem unwirtlichen Ort, von diesen Leuten, mit denen er nie mehr etwas zu tun haben wollte. Der Auftrag war erfüllt, er hatte hier nichts mehr verloren. In diesem Augenblick durchfuhr ihn die Erkenntnis wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Er hatte seine letzte Aufgabe erledigt. Sie brauchten ihn nicht mehr, so wie den unglücklichen Eric! Selbst Bauers Ankündigung erschien ihm mit einem Schlag wie eine Drohung. Hier an den steilen, unzugänglichen Berghängen gab es genügend Gelegenheiten, einen Unfall zu inszenieren. Ein kalter Schauer lief ihm über den Rücken bei diesem Gedanken. Entsetzt zuckte er zusammen, als Lis Feuerzeug klickte und gleich danach das Blatt aus seinem Kalender im Aschenbecher in Flammen aufging.
    Die Sitzung war beendet. Bauer übernahm wieder die Führung als Reiseleiter. Bevor Danny als Letzter das Zimmer verließ, kontrollierte er, dass sie keine Spuren hinterließen. Instinktiv bückte er sich nach dem Kärtchen, das Li so irritiert vom Tisch gefegt hatte, und steckte es ein, ohne es anzusehen. Bauer lotste sie auf einen schmalen Felsenweg, der

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