Im wilden Meer der Leidenschaft
anstarrte. Man hörte vieles in der Taverne, wenn man nur die Ohren offenhielt. Doch nur wenige Neuigkeiten konnten so dringend sein, dass sie einen Mann davon abhielten, seine fleischlichen Gelüste zu befriedigen.
Und nichts davon konnte eine gute Neuigkeit sein.
Er trat beiseite und ließ Mauro und die Frau hereinkommen. Ihre Anwesenheit ließ die sowieso schon beengte Kammer noch winziger erscheinen, noch muffiger von dem Geruch nach Alkohol und ungewaschenen Körpern.
Die Hure in seinem Bett wachte nun auch auf und verzog das Gesicht. „He, das kostet extra, wenn die auch noch mitmachen wollen“, beschwerte sie sich.
Diego ignorierte sie. „Was hast du in der Taverne gehört?“
Mauro runzelte seine von der Sonne gegerbte Stirn und dachte nach. „Hab’ gehört, dass Grattiano lebt!“
Für einen kurzen Moment starrte Diego ihn an, als habe er durch die abgestandene Rumwolke nicht richtig gehört. „Er lebt?“
„Aye! Felipe hat ihn gesehen, als er in Santo Domingo wieder auf die Calypso ging. So lebendig wie Ihr und ich.“
„Die Calypso ?“, fragte die Blondine. „Gibt es sie denn wirklich? Ich dachte, das seien nur Geschichten.“
„Meine Schwester behauptet, dass sie mit diesem Grattiano mal eine Nacht verbracht hat“, sagte der Rotschopf plötzlich und setzte sich barbusig im Bett auf. „Sie sagt, der Mann war unglaublich und hat stundenlang gekonnt.“
Beide Frauen seufzten.
„Aber meine Schwester war schon immer eine verdammte Lügnerin“, fügte sie dann hinzu. „Trotzdem …“
„Halt’s Maul!“, schnauzte Diego sie an. „Und Felipe ist sich da ganz sicher? Oder hatte er zu viel Schnaps intus und hat sich was eingebildet?“
Mauro zuckte die Schultern. „Er schien sich ziemlich sicher zu sein. Und in Santo Domingo hat man nichts davon gehört, dass Grattiano tot sei, nachdem wir die Segel gesetzt hatten.“
Und der Tod von Balthazar Grattiano hätte zweifellos für einigen Gesprächsstoff gesorgt. Diego ballte die Hand um den Schwertgriff zur Faust, als er der Versuchung widerstand, seine Waffe in Mauros Herz zu stoßen, dafür, dass er eine solch niederschmetternde Nachricht überbracht hatte.
Wie töricht war er gewesen, Santo Domingo so überstürzt zu verlassen und anzunehmen, er habe seine Tat vollbracht, als er Grattiano zu Boden fallen sah. Er hätte wissen müssen, dass ein Feind von diesem Kaliber nicht so einfach sterben würde.
Wieder einmal hatte er seine Frau im Stich gelassen.
Diego drängte sich an den anderen vorbei und ging zur Tür. „Sieh zu, dass du wieder einen klaren Kopf bekommst“, ordnete er an. „Dann zieh los und finde den Rest der Männer. Egal, in welchem Dreckloch sie gerade liegen. Wir setzen im Morgengrauen die Segel.“
„Aber Käpt’n …“, protestierte Mauro.
„Im Morgengrauen!“, wiederholte Diego bestimmt und knallte die Tür hinter sich zu. Die Hure ließ sich mit vor Angst weit aufgerissenen Augen zurück aufs Bett fallen.
Er musste Grattiano aufspüren. Und beim nächsten Mal würde er nicht versagen.
Beim nächsten Mal würde Grattiano sterben.
15. KAPITEL
Bianca kam so langsam zu sich, als tauche sie durch warmes, klares Wasser auf zur glitzernden Oberfläche. Was auch immer sie geträumt hatte, ihre Träume wollten sie nicht loslassen. Sie vergrub sich unter der Bettdecke, um das völlige Erwachen noch ein wenig aufzuschieben. Um sich noch weiterhin im schimmernden Wasser ihrer Traumwelt treiben zu lassen.
Doch der Schlaf stellte sich nicht mehr ein. Ihre Beine schmerzten, als sei sie tatsächlich die ganze Nacht geschwommen, und ihr Magen knurrte vor Hunger. Sie öffnete die Augen und blinzelte über den Rand des Lakens. Sie hoffte, fürchtete, dass sie Balthazars Blick treffen würde.
Doch sie war allein in der Kabine, die in helles, goldenes Tageslicht getaucht war. Ein frischer Weinkrug und ein Teller voll Obst standen für sie auf dem Tisch bereit, und ein pelzbesetzter Morgenrock war über den Stuhl drapiert.
Bianca schlug die Bettdecke zurück und schwang die Beine über den Rand der Koje. Sie fühlte sich völlig zerschlagen nach den Liebesspielen der letzten Nacht, aber es war ein wohltuender, angenehmer Schmerz. Ein Schmerz, der sie dazu brachte, eine fröhliche Melodie zu summen, während sie aufstand und hinüber zum Tisch ging.
Sie zog den Morgenrock über. Er war natürlich viel zu groß für sie; die Ärmel bedeckten ihre Hände, und der Saum schleifte über den Boden. Doch er war angenehm
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