Im wilden Meer der Leidenschaft
warm und roch nach Balthazar. Sie kuschelte sich hinein und genoss diesen prächtigen Luxus aus Satin und Pelz, der ein Überbleibsel aus einer anderen Welt zu sein schien. Einer Welt von glänzender Schönheit, von Sorglosigkeit und vielen Privilegien.
Bianca hatte nie in einer solchen Welt gelebt. Selbst in Venedig hatte ihr Leben mehr aus Arbeit als aus Sorglosigkeit bestanden. Aber sie hatte immer Blicke auf das Luxusleben der Reichen erhaschen können, auf seidene Ballkleider hinter vergitterten Balkonen oder auf vorbeifahrenden Gondeln, auf Gold, Juwelen und feinste Burano–Spitze. Sie erinnerte sich an den Geruch von Rosenwasser, Jasmin und Veilchen aus Julietta Bassanos Geschäft. Musik, unterdrücktes und leises Gelächter, funkelnde Augen hinter Masken. Das war Balthazars Welt, die er aufgegeben hatte, um hierherzukommen und sich den Gefahren der See auszusetzen.
Warum? Vielleicht hatte sie die Taverne hinter sich gelassen und war ihm auf die Calypso gefolgt, um dies herauszufinden. Balthazar Grattiano war ihr schon als unschuldiges junges Mädchen immer ein faszinierendes Rätsel gewesen. So schwer zu greifen wie eine Länge feinsten Satins, immer ein Stück weit außerhalb ihrer Reichweite. Sie wollte ein für alle Mal herausfinden, was für ein Mensch er wirklich war, und dann könnte sie endgültig einen Schlussstrich ziehen.
Sie schüttete sich einen Kelch Wein ein und nahm einen tiefen, kräftigenden Schluck. Das Vorhaben, Balthazar zu enträtseln und ihm seine Geheimnisse zu entlocken, war harte Arbeit. Ein Tag würde dazu nicht ausreichen und vielleicht nicht einmal ein ganzes Leben. Aber versuchen musste sie es.
Angefangen damit, was tatsächlich zwischen ihm und seinem Vater vorgefallen war.
Während sie an einer Scheibe Papaya knabberte, warf sie einen Blick auf die Papiere, die auf dem Tisch gestapelt lagen. Sie sah, dass es sich um handgezeichnete Seekarten handelte sowie Landkarten verschiedener Inselküsten mit exakten Vermessungsangaben.
Sie überflog die Dokumente und bewunderte die perfekt ausgeführte Arbeit. Ihr Mann war ein Seefahrer gewesen, und so erkannte sie sofort, wie genau und sorgfältig diese Karten gezeichnet waren. Und obendrein wunderschön anzusehen, in zarten Nuancen von blauer, grüner, lila und erdbrauner Farbe aquarelliert, mit Zeichnungen von winzigen Schiffen und Einheimischen mit ihrer exotischen Bekleidung an den Rändern.
Sie drehte die Karten um und fand darunter weitere Zeichnungen, detaillierte Skizzen von Pflanzen, Bäumen und den Hütten der Einheimischen. Und ganz unten entdeckte sie etwas noch Bemerkenswerteres. Das Kohleporträt einer dunkelhaarigen Frau und zwei kleiner Jungen. Dies waren keine Bewohner der Inseln. Die Frau trug ein modisches italienisches Kleid mit in Brokat gefassten Bordüren an den Ärmeln und am Mieder. In ihrem ovalen Gesicht stand ein mildes Lächeln, und sie blickte hinunter zu den Kindern, von denen das Kleinste auf ihrem Schoß saß und der größere Junge neben ihr stand und sich an ihrem Rock festhielt.
Es war wunderschön. Jede graue gezeichnete Linie drückte zärtliche Zuneigung aus und den Frieden, den eine Familie brachte, den Bianca aber nie erlebt hatte.
In der unteren Ecke der Zeichnung standen die hastig gekritzelten Initialen „BG“.
Balthazar Grattiano.
Bianca starrte auf die kleinen Jungen. Irgendetwas in ihren Gesichtern erregte ihre Aufmerksamkeit. Ein ihr vertrauter Ausdruck der Augen, ihr leicht schiefes Lächeln. Waren dies etwa Balthazars Söhne? Seine Familie?
Rannte er mehr vor diesem Familienleben davon als vor dem Tod und dem dunklen Vermächtnis seines Vaters?
Der helle Morgen kam ihr plötzlich trüb vor, als sie weiterhin die Kinder betrachtete. Und etwas schien in ihr zu zerbrechen und zwar so laut, dass sie hätte schwören können, es wirklich gehört zu haben. Lächerlich. Ihr Herz war schon beim Tod ihrer Mutter in tausend Stücke zerbrochen. Und für Balthazar empfand sie nichts außer dem Bedürfnis, ihn für die Verbrechen seiner Familie zahlen zu lassen.
Doch warum schmerzte dann ihre Kehle, als würde sie gleich in Tränen ausbrechen?
Bianca ließ sich auf den Stuhl fallen. Das Obst, das sie eben gegessen hatte, schmeckte auf einmal wie Asche. Sie wusste nicht mehr, warum sie hier war und wer Balthazar eigentlich war. Wer sie war. Sie hatte sich zu sehr in ihrer heißen Lust verloren, in wirren Träumen, die völlig unmöglich waren.
Sie trank noch einen großen Schluck Wein
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