Im wilden Meer der Leidenschaft
bin es noch mehr, wie du weißt. Und ich habe die feste Absicht, noch einige Jahre am Leben zu bleiben.“ Er streckte ihr seine Hand entgegen und lächelte sie an. „Komm, es ist schon spät.“
Bianca reichte ihm langsam ihre Hand, und sein warmer, fester Griff umschloss ihre Finger.
Er war so voller Leben.
Er führte sie die steilen Stufen hinauf und durch die Tür hinaus auf Deck. Nach dem Halbdunkel in der Kabine mussten sie sich erst an das gleißende Sonnenlicht dort oben gewöhnen. Sie schirmte ihre Augen ab und besah sich das Treiben, das auf Deck herrschte.
Es kam ihr vor, als sei sie zurück in die Vergangenheit katapultiert worden und befinde sich plötzlich wieder auf dem Schiff, mit dem sie die alte Welt verlassen hatte. Vor sich sah sie den gleichen unablässigen Ablauf tausend verschiedener Arbeiten, Bewegungen und Geräuschen. Überall liefen Männer herum und pumpten Wasser aus dem Frachtraum, schrubbten das Deck oder kletterten in die Takelage, um die Taue zu überprüfen. Gelächter, laute Gesprächsfetzen und gegrölte Seemannslieder vermischten sich mit dem Rauschen der Segel, die sich im Wind blähten, und dem Knarren der Schiffsplanken der Calypso , die unablässig die Wellen durchpflügte.
Selbst nach ihrer langen Zeit an Land war ihr all dies sofort wieder vertraut. Die salzige Gischt, das Stampfen und Schlingern des Decks unter ihren Füßen. Und sie erinnerte sich auch noch genau daran, wie einsam sie sich damals gefühlt hatte. Sie hatte kurz vorher einen Mann geheiratet, den sie noch nicht besonders gut kannte, der um einiges älter war als sie und der sie mit in ein ungewisses Leben in fremden Gefilden nahm.
Und auch jetzt fühlte sie sich allein. Sie trieb auf weiter, unendlicher See, ohne Schutz vor den Gefahren, die auf sie zukamen.
Doch dann wandte Balthazar sich ihr zu und streckte seine Hand aus. Er lächelte sie fragend an und hatte den Kopf auf die Seite gelegt, als wolle er wissen, ob sie den Sprung mit ihm wagen würde. Den Sprung ins Leere, in eine unbekannte Zukunft.
Bianca wusste, dass es zu spät war. Sie war schon gesprungen, als sie sich an Bord der Calypso geschlichen hatte. Sie hatte keine andere Wahl, als Balthazars ausgestreckte Hand zu ergreifen und ihn mit sich in die Tiefe zu ziehen.
Sie legte ihre Hand in seine starken Finger und folgte ihm, als er das Deck entlangging. Seine Männer machten ihm respektvoll Platz, aber sie sah deren unterdrücktes Grinsen, als sie sie anstarrten. Hart, aber gerecht, hatte Mendoza über Balthazar gesagt, und es war offensichtlich, dass er geachtet wurde. Doch in der kleinen, engen Welt eines Schiffs konnte nichts verheimlicht werden. Selbst – und ganz besonders – ihre Liebesspiele nicht.
Bianca fühlte, wie ihr die Hitze in die Wangen stieg, aber sie folgte Balthazar hoch erhobenen Kopfes die Stufen hinauf zum Bug. Dort hielt ein großer, magerer Mann mit einem Strohhut Wache und verbeugte sich schüchtern vor Bianca, als sie und Balthazar sich der Reling näherten.
„Bianca, das ist Luis, der Bootsmann der Calypso “, sagte Balthazar. „Luis, darf ich dir Señora Montero aus Santo Domingo vorstellen.“
„Buenos dias , Señora“, erwiderte Luis verlegen.
„Señora Montero hat angeboten, uns bei der Reparatur der Segel und beim Kochen behilflich zu sein“, erklärte Balthazar und warf Bianca einen schalkhaften Blick zu. „Was hältst du davon? Brauchen wir ihre Hilfe?“
„Vielleicht, wenn wir angelegt haben, Kapitän Grattiano“, erwiderte Luis. „Dann ist immer viel zu tun.“
„Sind wir denn schon nahe an unserem Ziel?“, wollte Bianca wissen und sah hinaus auf die Weite des Meeres. Außer dem endlosen dunkelblauen Ozean und seinen weißen Schaumkronen konnte sie nichts erkennen.
„Es ist nicht mehr weit“, sagte Luis. „Die Calypso ist das schnellste Schiff weit und breit.“ Einer der anderen Matrosen rief ihn, und er entfernte sich. Bianca und Balthazar blieben allein an der Reling stehen.
„Dann bin ich wohl in der Tat auf einem Zauberschiff gelandet“, sagte sie und stützte sich mit den Ellbogen auf das glatte Holz, um hinunter auf die sich brechenden Wellen zu schauen. Sie genoss die warme Sonne auf ihrer Haut, die sich wie helle Freiheit nach einer langen, dunklen Gefangenschaft anfühlte.
„Nein, mit Zauberkraft hat das nichts zu tun“, erwiderte Balthazar und stellte sich neben sie. Er hielt den Gradstock in der Hand, und Bianca sah, wie er den Längsstab unter seinem Auge
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