Im wilden Meer der Leidenschaft
wieder belebte. Der Traum von einer Freundschaft, in der der andere ihn nicht nur als Kapitän Grattiano, sondern auch als den Menschen, der er vorher gewesen war, kannte. Und ihn vielleicht deshalb verstand, weil sie sich im tiefsten Innern so sehr ähnelten. Weil sie beide auf der Suche nach einem Zuhause waren und gleichzeitig ihre Freiheit benötigten.
Und die kurze gemeinsame Zeit, die ihnen gegeben war, genießen mussten.
Bianca sah auf und bemerkte, dass er sie beobachtete. Für einen kurzen Augenblick ließ sie ihre wachsame Maske fallen. In ihren dunklen Augen spiegelten sich seine eigene Verwirrung und Sehnsucht. Er fragte sich wieder einmal, was sie an diesen Ort gebracht hatte, wo sie einander aller Wahrscheinlichkeit entgegen wiedergefunden hatten.
Sie lächelte ihn kurz an, hatte dann aber ihren Gesichtsausdruck wieder unter Kontrolle. Sie wandte ihre Aufmerksamkeit dem Kochtopf zu und rührte eine Handvoll des Gemüses hinein, das seine Männer so gehorsam für sie kleingeschnitten hatten.
Auch Balthazar drehte sich wieder um und konzentrierte sich auf den Horizont und auf die Suche nach einem sicheren Hafen.
Die Sonne ging allmählich unter, und der Himmel färbte sich orangerot mit glitzernden gold– und lavendelfarbenen Streifen. Doch vor sich sah er eine neue graue Wolkendecke, die sich zusammenballte. Mendoza gesellte sich an seine Seite und betrachtete den unbeständigen Himmel mit besorgtem Gesicht.
„Das Wetter schlägt um“, sagte Mendoza.
„Aye.“
„Glaubt Ihr, es wird nur regnen, Kapitän? Oder …?“
Balthazar wusste, was er meinte. Oder braute sich ein Sturm zusammen wie der Tornado, der ihren Großmast geknickt hatte und sie nach Santo Domingo geführt hatte? Sie hatten die Schäden so gut es ging wieder repariert, aber die Calypso war noch nicht hundertprozentig wiederhergestellt. „Nein, ich glaube nicht, dass es so schlimm wird. Die Luft ist nicht ganz so schwer. Aber das Schiff ist nicht in der allerbesten Verfassung. Wir sollten für heute Nacht einen Hafen finden.“
„Können wir Land erreichen?“
„San Pedro müsste nur einige Meilen entfernt sein. Kein allzu sicherer Hafen, aber zumindest finden wir dort eine geschützte Bucht. Es ist nicht zu steinig, und wir sind vor Wind und Wellen geschützt. Wir müssten es eigentlich schaffen, bevor der Regen einsetzt.“
Mendoza lachte. „Wenn Ihr die Männer dazu bringen könnt, Señora Montero nicht ständig anzuhimmeln und sich wieder an die Arbeit zu machen!“
Balthazar wandte sich Bianca zu. In der Tat hatten sich jetzt fast alle seiner Männer um sie geschart, um ihr Seemannsgarn zu spinnen und sie zum Lächeln zu bringen. „Wenn sie den Männern die Anweisungen gäbe, würden sie mit Sicherheit sofort spuren.“
Balthazar läutete energisch die Schiffsglocke und sah zufrieden, dass alle aufschreckten und sich ihm zuwandten. Wie konnten seine Männer es nur wagen, mit Bianca zu flirten! Und sie zum Lächeln zu bringen, wo ihm selbst dieses Kunststück so selten gelang.
„Ihr faulen Hunde!“, brüllte er. „Wir müssen es vor Anbruch der Dunkelheit bis nach San Pedro schaffen. Also hört auf, das hübsche Gesicht vor euch anzugaffen und schert euch auf eure Posten. An die Arbeit!“
Mendoza lachte noch immer. „Ich glaube nicht, dass sie nur ihr hübsches Gesicht begaffen! Sie hat auch hübsche …“ Doch er besann sich, als Balthazar ihm einen wütenden Blick zuwarf und beeilte sich, auf seinen eigenen Posten zurückzukehren.
Balthazar nahm das Fernrohr wieder ans Auge und sah, dass eine zerklüftete Küste allmählich in Sicht kam. Um ihn herum hatte sein Wutausbruch die gewünschte Wirkung gezeigt, und seine Männer hatten ihr geschäftiges Treiben an Deck und in den Takelagen wieder aufgenommen. War dieser ziehende Schmerz in seinem Magen etwa Eifersucht? Erst auf den verstorbenen, ihm unbekannten Señor Montero und jetzt auf seine eigene Mannschaft. Er schien sich nicht mehr im Griff zu haben, was auf hoher See der verhängnisvollste Fehler überhaupt sein konnte. Das war ihm noch nie passiert.
Und auch jetzt konnte er es nicht zulassen.
Selbst inmitten des Lärms, der nun auf dem Schiff herrschte, hörte er sie die Stufen hinaufkommen und spürte ihre Nähe. Er setzte das Fernrohr ab und sah sie an. Sie erwiderte seinen Blick mit ihrer üblichen ruhigen Achtsamkeit, aber unter ihrer Fassade und tief in ihren Augen sah er etwas anderes.
„Ich kann Ausschau halten, dann kannst du das Ruder
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