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Im wilden Meer der Leidenschaft

Im wilden Meer der Leidenschaft

Titel: Im wilden Meer der Leidenschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: AMANDA MCCABE
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ansetzte und das verstellbare Querstück verschob, bis dessen Enden unten den Horizont und oben die Sonne anvisierten. Bianca wusste, dass die genaue Peilung auf einem schwankenden Schiff alles andere als einfach war, und doch wirkte es in seinen Händen wie ein Kinderspiel.
    „Nur gute Handwerkskunst“, sagte er. „Die Schiffszimmermänner meines Bruders gehören zu den besten in ganz Europa.“
    „Auch ein gut gebautes Schiff ist nichts wert ohne einen guten Kapitän“, antwortete Bianca. „Einen Kapitän, der die See kennt.“
    „Und ihre Launen respektiert?“, lachte Balthazar. Er legte den Gradstock beiseite und beugte sich über eine Sternkarte, die auf einem Tisch lag.
    „Kannst du ihre Launen daraus ablesen?“, fragte Bianca und sah über seine Schulter auf Ziffern, die ihr nichts sagten. Und selbst falls sie ihre Bedeutung verstünde, fürchtete sie, von der Linie seiner Schulter unter dem dünnen Leinenhemd abgelenkt zu werden. Und von seiner langen, dunklen Mähne, durch die der Wind fuhr. Von seinem unwiderstehlichen Geruch.
    „Und hier kann ich die Neigung der Sonne sehen“, erklärte er und zeigte mit einem seiner braungebrannten, langen Finger auf eine der Ziffern. „Siehst du das, Bianca? Das ist der heutige Winkel der Sonne am Himmel. Indem ich dies von der Messung des Gradstocks abziehe, kann ich den Breitengrad bestimmen, auf dem sich die Calypso befindet. Wir sind tatsächlich nicht mehr weit von zu Hause entfernt. Falls wir weiterhin Glück haben und nicht vom Kurs abgebracht werden.“
    „Und wer hat diese Karten angefertigt?“
    Er strich mit der flachen Hand über das Pergament. „Ich.“
    Bianca legte eine Hand auf seine Schulter und starrte auf die geheimnisvollen Ziffern. „Da muss doch Zauberkraft im Spiel sein. Eine Karte erlaubt, Meer und Himmel zu vermessen!“
    Er sah sie an, und seine Augen glänzten hell und unergründlich in der Sonne. „Und ich bin ein Zauberer, weil ich weiß, wie man sie liest?“
    Bianca stockte der Atem. Sie hörte das Treiben auf dem Schiff nicht mehr. Nur noch Balthazar existierte, und das unbezähmbare Meer, das so sehr ein Teil von ihm war.
    „Ich würde dir die Zauberkräfte nicht gänzlich absprechen, Balthazar“, flüsterte sie.
    „Habe ich dich damit hierher gelockt, Bianca?“, fragte er. „Mit meinen Zauberkräften?“
    „Allmählich glaube ich das. Als ich die Taverne kaufte, schwor ich mir, nie wieder das feste Land zu verlassen. Nie wieder ins Ungewisse aufzubrechen.“
    „Und doch bist du hier.“
    „Und doch bin ich hier.“ Sie zwang sich, sich von ihm abzuwenden, von diesem durchdringenden Blick, der selbst nichts preisgab. Sie ging zurück zur Reling und blickte auf den Horizont, den nur er deuten konnte. „Ich vergaß, wie atemberaubend schön dies alles ist.“
    „Das Meer?“
    „Die ganze weite Welt.“ Er stand nun dicht hinter ihr, und sie fühlte die Hitze seines Körpers an ihrem Rücken.
    Er wärmte sie wie die Sonne. Er war eine Welt für sich und verkörperte die ganze wundersame, geheimnisvolle, beängstigende und faszinierende Schöpfung.
    „Ich kann mich noch daran erinnern, als ich jung war“, sagte sie, „und du mir von den fernen Ländern in deinen Büchern erzählt hast. Orte, an denen fremde Sprachen gesprochen wurden, wo alles anders war und wo der Dukat keine Bedeutung hatte. Wo man sein Schicksal selbst in die Hand nehmen konnte.“
    „Ich erinnere mich auch“, sagte er leise. „Du warst der einzige Mensch, der mich verstand.“
    „Und bist du …?“
    „Bin ich … was?“
    „Geworden, was du werden wolltest?“
    Sie fühlte, wie er näher kam und sich dicht neben sie an die Reling stellte. Nur ihre Schultern berührten sich, und doch schien es, als seien sie die einzigen Menschen auf der Welt. Zwei Menschen, die das Meer miteinander verband.
    „Und du , Bianca?“, fragte er. „Bist du geworden, was du werden wolltest?“
    Sie ergriff seine Hand und hatte von Neuem das schwindelerregende Gefühl, sich in einem freien Fall zu befinden, ohne zu wissen, wo oder ob sie sicher landen würde. Hatte das Gefühl, den Rand des Horizonts überschritten zu haben und sich vor einem Abgrund zu befinden. Ohne Vergangenheit und ohne Zukunft.
    „Ich weiß selbst nicht mehr, wer ich eigentlich bin“, sagte sie. „Oder was ich damals wollte.“
    „Ich weiß, was du meinst. Mein Leben in Venedig scheint eine Ewigkeit her zu sein. Aber zumindest einer meiner Wünsche ist in Erfüllung

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