Im wilden Meer der Leidenschaft
Hitze der Insel schützten. Die Fensterläden waren geschlossen. Das Haus stand verlassen und unbewohnt dort und schien darauf zu warten, von menschlicher Hand wieder zum Leben erweckt zu werden.
„Komm“, sagte Balthazar und führte sie einen breiteren, befestigten Weg entlang. Als sie sich dem Haus näherten, sah sie noch weitere, bescheidenere Häuser und Hütten am Hang des Hügels, hinter denen sich kleine Gärten und Schweineställe befanden. Auch die schienen unbewohnt zu sein, obwohl Bianca dachte, sie höre leises Kichern und sähe Gestalten im Innern hin- und herhuschen.
Die Siedlung kam ihr vor wie ein kleines und perfektes Europa im Miniatur–Format, mitten im Dschungel. Es herrschte völlige Stille. Ihre Sorge, plötzlich Balthazars Kindern gegenüberzustehen, schwand, doch sie war noch immer nervös, da sie bemerkte, dass Balthazar den Griff seines Dolchs nicht losließ.
Als sie das Steinhaus erreichten, sah sie, dass die massive Eingangstür mit stabilen Scharnieren befestigt war. Balthazar, der sie noch immer fest an der Hand hielt, unterzog die Außenwände und geschlossenen Fenster einer gründlichen Untersuchung.
Angespannt lauschte auch sie auf irgendein verdächtiges Geräusch. Doch alles, was sie hören konnte, war das stetige Rauschen des Windes und das entfernte Plätschern eines Baches. Außer ihnen beiden schien sich niemand in der Nähe zu befinden. Sicherlich hatte sie sich die kichernden Frauenstimmen nur eingebildet.
Balthazar schenkte ihr ein beruhigendes Lächeln, als er die Tür öffnete. „Vista Linda ist zwar nur eine kleine und unbedeutende Insel, die auf keiner Karte verzeichnet ist, aber wir waren schon seit Monaten nicht mehr hier und …“
Und vielleicht hatte Diego Escobar den Weg dorthin doch gefunden. Oder einer der anderen zahlreichen Feinde, die ein Mann wie Balthazar sicherlich hatte. Bianca überlief ein Schauder, und sie war dankbar, dass dieser wundersame Ort tatsächlich ruhig und friedlich zu sein schien.
Er führte sie ins Innere seines Hauses, das in der Tat nicht sonderlich groß war – es bestand aus zwei Räumen an der Vorderseite, einer dahinterliegenden, langgestreckten Küche und einem offenen Raum, der die ganze obere Etage einnahm und zu dem man über eine enge Treppe gelangte.
Es war ein einfaches Haus, aber doch elegant und gut geschnitten, mit weiten, offenen Räumen, weißgetünchten Wänden, Steinböden und hohen Decken. Trotz oder gerade wegen seiner Schlichtheit war es ein Gebäude, in dem Bianca sich sofort wohlfühlte.
Als sie sich umsah, drängte sich ihr der Kontrast zur Casa Grattiano in Venedig auf, zum kalten, abweisenden Marmor des Palazzos und den goldenen Verzierungen, den Satin–Vorhängen und riesigen Zimmerfluchten, zur erschlagenden Last von zu viel Prunk und Glanz.
Es hatte viele Zeiten in ihrem Leben gegeben, in denen sie einsam und hungrig durch die Welt geirrt war und Balthazar um diesen Luxus beneidet hatte. Doch als sie nun dieses Haus sah, verstand sie, dass der Palazzo für Balthazar immer nur ein goldener Käfig gewesen sein konnte.
Langsam ging sie durch die stillen Räume, und die feine Sandschicht auf dem Boden knirschte unter ihren Stiefeln. Sie hob die über den Möbeln liegenden Leintücher hoch und entdeckte darunter einfache Hocker und Tische, sowie zwei Lehnstühle. Sie waren aus massivem, glänzendem Tropenholz angefertigt und waren weder prunkvoll noch schienen sie hier fehl am Platz. Obwohl alles noch von einer dicken Staubschicht überzogen war und im Halbdunkel lag, konnte sie den Charakter des Hauses schon erkennen. Und sah, dass der Gegensatz zum Palast seines Vaters in Venedig nicht größer sein konnte.
Bianca öffnete einen der Fensterläden und stieß ihn auf, sodass Licht und frische Luft hereinfluten konnten. Als sie sich umdrehte, bemerkte sie, dass Balthazar noch immer mit verschränkten Armen an der Tür stand und sie argwöhnisch beobachtete.
„Ich weiß, was hier fehlt“, sagte sie.
„Ach ja? Und was wäre das? Mehr Möbel? Wandbehänge? Vergoldetes Geschirr?“
Bianca lachte. „Nein. Eine Willkommensfeier.“
20. KAPITEL
Balthazar lief über den Strand und untersuchte die Calypso von allen Seiten. Das Schiffsdeck und die Kabinen waren völlig leer geräumt worden, bevor das Schiff an Land gezogen, auf Pallen aufgebockt und seitlich abgestützt worden war. Die Männer waren damit beschäftigt, die mit Algen und Krebstieren verkrusteten Planken abzuschaben und abzubrennen.
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