Im wilden Meer der Leidenschaft
ein kleines Abenteuer zwischendurch, doch niemals könnte sie seine offizielle Mätresse oder gar seine Frau werden.
Doch hier …
Hier hatte sie keine Ahnung, welche „Position“ man ihr zugestehen würde oder welche Rolle sie überhaupt anstrebte. Hier waren sie nicht mehr dieselben Menschen wie in ihrem früheren Leben und nicht mehr an die alten Regeln gebunden.
Bianca wandte ihren Blick entschieden von Signora Grattiano ab und stieg aus der Koje, um nach ihren Kleidern zu suchen. Ihr Hemd starrte von getrocknetem Salzwasser, und so öffnete sie Balthazars Truhe, um sich ein sauberes auszuleihen. Sie hätte auch eins ihrer eigenen nehmen können, aber dies war ein guter Vorwand, um seine Kleidung zu tragen. Ihn noch etwas länger zu riechen und an ihrer Haut zu spüren.
Als sie den Deckel der Truhe hochhob, sah sie seinen Bogen, den er sorgfältig an einer Seite verstaut und mit gefalteten Kleidern gepolstert hatte. Das Sonnenlicht schien auf das polierte Holz, die kostbaren diamantenen Intarsien im Rosenmuster. Ein wahres Kunstwerk.
Aber ein todbringendes. Selbst ungespannt und ohne Pfeile ging davon eine spürbare Bedrohung aus. War dies die Waffe, mit der er Ermano Grattiano umgebracht hatte? Was musste vorgefallen sein, damit Balthazar, nach all den Jahren unter dem bösen Einfluss seines Vaters, sich dazu entschlossen hatte, ihn zu töten?
Und war überhaupt irgendetwas vorgefallen?
Der Anblick des glatten Holzes, der geschwungenen Linien und Kurven des Bogens erinnerten sie nur daran, wie wenig sie eigentlich wusste.
Aber wollte sie denn überhaupt mehr herausfinden?
Bianca zog schnell ein sauberes Hemd hervor und schloss die Truhe, um den Bogen nicht weiter ansehen zu müssen. Wenn sie doch auch die Vergangenheit so einfach aus ihren Gedanken verbannen könnte!
Sie zog das weiche Leinenhemd über und genoss das Gefühl auf ihrer nackten Haut. Ihr Körper versank in dem viel zu großen Hemd und umhüllte sie mit Balthazars sauberem Geruch nach Zitrone und Salzwasser. Sie schlang die Arme um ihren Oberkörper und schloss die Augen, um seinen Geruch tief einzuatmen, um ganz von ihm umgeben zu sein.
„Was bist du doch für eine Närrin, Bianca Simonetti“, flüsterte sie und schlug die Ärmel zurück. Sie zog ihre Hose und ihr Wams über und schlüpfte in ihre feuchten Stiefel. Hastig und ohne einen Blick in den Spiegel band sie einen Schal um ihre wirren Locken. Sie brauchte frische Luft, Arbeit und Abwechslung, damit sie nicht so blauäugig und verzweifelt wie die venezianischen Damen enden würde.
Bianca verließ so schnell sie konnte die Kabine und bedeckte ihre Augen, um sie vor der gleißenden Sonne zu schützen und das Treiben auf Deck zu beobachten. Fast schien es, als sei nie ein Sturm über sie hinweggezogen. Der Schutz der Bucht lag weiter hinter ihnen, und sie waren schon wieder mitten auf dem blaugrünen offenen Meer, mit nichts als dem unendlichen, blassen Himmel am Horizont. Der Wind blähte die Segel, und das Schiff glitt zügig durchs Wasser.
Balthazar war hoch oben in der Takelage. Im ersten Moment stockte ihr der Atem, als sie ihn dort erblickte und daran dachte, wie tief er stürzen könnte, falls er das Gleichgewicht verlöre und ins kalte Wasser fiele. Doch er kletterte mit nackten Füßen behände und geschickt immer höher und lachte, berauscht vom Gefühl der Freiheit und der Nähe zu Himmel und Wind.
Hatte sie wirklich jemals geglaubt, er gehöre in die beengte, luxuriöse Welt der venezianischen Palazzi? Spätestens jetzt wurde ihr klar, dass er nur hier zu Hause sein konnte.
Und wohin gehörte sie ? Sie hatte keine Ahnung. Sie hatte die Taverne hinter sich gelassen, und selbst falls sie eines Tages zurückkehren sollte, würde es nie mehr das Gleiche sein. Vielleicht hatte sie auch nie wirklich vorgehabt, wieder zurückzukehren.
Bianca wurde plötzlich bewusst, dass sie noch immer gedankenverloren zu Balthazar hinaufstarrte und den putzenden und arbeitenden Männern im Weg stand. Sie löste ihren Blick von ihm und seinem so verführerischen Lachen. Stattdessen zog sie sich in eine ruhige Ecke zurück, wo sie sich auf einen Stapel aufgerollter Taue setzen und hinaus in die unendliche Weite sehen konnte.
Bald würde etwas in Sicht kommen. Doch was würde sie dort erwarten? Sie hatte während ihrer Reisen gelernt, dass in diesen Breitengraden nichts vorhersehbar war – und dass man sich auf nichts vorbereiten konnte.
Und jetzt trieb sie erst einmal für
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