Im wilden Meer der Leidenschaft
ihn lachen zu hören und die unwiderstehlichen Grübchen in seinen Wangen zu sehen, die so selten wie schwarze Perlen waren. In Venedig war er immer so ernst, so reserviert gewesen. Doch in den letzten Tagen, während die Calypso das Meer durchpflügte, hatte sie eine neue Heiterkeit in ihm entdeckt. Ein neues Licht in seinen Augen, eine neue Bereitschaft zu lächeln und sogar zu lachen.
Lag es an dieser Insel? Welche Macht übte sie auf ihn aus?
Bianca hielt sich noch immer an ihm fest, um nicht in die Brandung zu fallen und drehte den Kopf, um das Ufer zu sehen. Ihr bot sich der wunderschöne Anblick eines langen Streifens goldfarbenen Sands, der von riesigen und glänzend grünen Palmen gesäumt war. Doch das kannte sie schon von anderen üppig bewachsenen und unbewohnten Inseln, die sie gesehen hatte, und die auf ihre Entdecker eine unwiderstehliche Anziehungskraft ausübten, ohne selbst ihre Geheimnisse preiszugeben. Keine Menschenseele, kein einziges Lebewesen war zu sehen. Nichts war zu hören außer dem Wind, der durch die Bäume fuhr, und der Brandung.
Doch sie spürte etwas Neues und Unbeschreibliches in der Atmosphäre dieses Ortes. Spürte die Veränderung, die sich in Balthazar vollzogen hatte.
Trotz ihrer körperlichen Vertrautheit stellte sie wieder einmal fest, dass sie Balthazar im Grunde nicht kannte. Jedes Mal, wenn sie glaubte, sie habe ihn endlich verstanden, entglitt er ihr wieder und präsentierte ihr wie ein schimmernder Smaragd eine neue Facette.
Endlich waren sie am Ufer angelangt. Er hielt sie noch immer in seinen Armen, und Bianca drehte den Kopf, um sich von der Sonne wärmen zu lassen. Sie roch den süßen Duft des Landes, des heißen Sandes und des salzigen Windes, den lieblichen Geruch von Blumen und Kokosnüssen. Doch erst einmal musste ihr Körper sich wieder daran gewöhnen, sich auf festem Boden zu befinden und nicht mehr auf einem schwankenden und schlingernden Schiff.
Sie öffnete die Augen und sah, dass Balthazar sie anblickte. Er hatte aufgehört zu lachen; eine schmale Falte durchzog seine Stirn, und seine Augen waren wieder undurchdringlich. Doch sie fühlte, dass auch er die plötzliche Veränderung zwischen ihnen spürte.
„Es ist wunderschön hier“, flüsterte sie.
„Deshalb heißt es auch Vista Linda.“ Er ließ sie vorsichtig hinunter und hielt sie fest, während ihre Stiefel in den feuchten, weichen Sand sanken, sie schwankte und erst langsam wieder Halt fand. Auch als sie das Gleichgewicht schon gefunden hatte, hielt er ihre Hand und das zarte, unerklärliche Band zwischen ihnen weiterhin fest.
„Das ist also dein Zuhause“, sagte sie. War dies der Ort, an dem er die dunkelhaarige Frau und ihre zwei kleinen Söhne versteckt hielt? Würde sie ihnen bald begegnen, ihnen leibhaftig gegenüberstehen? Und was würde dann aus ihr?
„Soweit ich ein ‚Zuhause‘ habe“, erwiderte er. „Es ist zumindest eine Zuflucht.“
Bevor sie ihn fragen konnte, wovor er eine Zuflucht brauchte, kam hinter ihnen der Rest der Mannschaft ans Ufer und zog das Boot an Land. Ihre Schreie und ihr lautes Gelächter beendeten den Augenblick der Zweisamkeit, den sie mit Balthazar teilte, und erinnerte sie daran, dass es eine Welt außerhalb seines goldenen Zaubers gab. Außerhalb des traumhaften Sandstrands und der heißen Sonne.
Er lächelte sie an, doch seine hellen meergrünen Augen waren noch immer undurchdringlich. „Komm“, sagte er und umfasste ihre Hand noch fester.
Bianca folgte ihm, als er sie über den sanft ansteigenden Strand führte und weiter zu einem engen Pfad, der zwischen den sich wiegenden Palmen hindurchführte. Bald schien sich ein Vorhang der Stille über sie gelegt zu haben, der sie vom sonnenbeschienenen Strand abschnitt. Hier drinnen zwischen den Bäumen war es schattig und kühl. Blaugeflügelte Schmetterlinge schwirrten durch das Unterholz, und Vögel zwitscherten über ihren Köpfen. Der Duft von tropischen Blumen, von grünem, feuchtem, wachsendem Leben wurde stärker.
Fast geräuschlos gingen sie über den gewundenen Pfad. Bianca folgte Balthazar noch immer, obwohl sie Angst davor hatte, was sie hier an diesem verwunschenen Ort erwartete.
Endlich traten sie wieder aus dem dichten Wald hinaus, und sie sah, dass sie sich nun vor einem steilen Hang befanden. Auf dem Gipfel stand ein im Sonnenschein schimmerndes weißes Haus.
Es war kein großes Gebäude, sondern ein langes, niedriges Haus mit flachem Dach und dicken Steinwänden, die vor der
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