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Im Winter der Löwen

Titel: Im Winter der Löwen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Costin Wagner
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von dem, was passiert, überrollt«, sagte Sundström. »Das passiert manchmal. Wir wissen nichts, und wir begreifen nichts. Wir nehmen lediglich zur Kenntnis, was passiert ist.«
    Alle schwiegen, bis Hämäläinen plötzlich aufstand und mit unnatürlich lauter Stimme sagte: »Es kommt nicht in Frage.«
    »Entschuldigung?«, sagte Sundström.
    »Kommt nicht in Frage. Ich bedaure sehr, was passiert ist, aber ich kenne weder den Gerichtsmediziner noch Harri Mäkelä näher. Ich habe sie ein einziges Mal getroffen, und das war während des Interviews. Ich kann nichts beisteuern, und ich benötige natürlich auch keinen Personenschutz oder etwas Derartiges. Entschuldigen Sie mich.« Er gab nacheinander Sundström, Westerberg und Joentaa die Hand, nickte seiner Redakteurin zu und verließ den Raum.
    »Das ging jetzt aber schnell«, sagte Westerberg langsam.
    Die Redakteurin führte sie durch die inzwischen hell beleuchteten Gänge des Glaskastens zum Lift und sagte noch einmal, dass sie erschüttert sei, bevor sich automatisch die Türen schlossen. Die Pförtner nahmen Haltung an, und die weite Parkanlage lag malerisch im Dunkel des beginnenden Abends und im Flockenwirbel.
    Sie fuhren schweigend, und Kimmo Joentaa dachte an Kai-Petteri Hämäläinen, der sich selbst gespielt hatte. Eine Rolle, die es den ganzen Tag über auszufüllen galt. Ein Mann, der auf dem Bildschirm echt und in der Realität eine Kopie war.
    Der traurige Komiker imitiert Stimmen, der Moderator imitiert sich selbst.
    Joentaa schloss die Augen, versuchte, sich auf einen fernen Kern zu konzentrieren, und musste plötzlich über seine überdrehten Gedanken lachen. Er lachte und kicherte und dachte vage, dass er Larissa anrufen musste.
    »Kimmo lacht«, sagte Sundström, und Westerberg nickte nur, vermutlich weil er den Witz nicht verstand und auch kein Interesse daran hatte, ihn zu verstehen.
22
    Während der Heimfahrt nach Turku versuchte er, Larissa zu erreichen, aber sie war nicht da.
    Natürlich nicht. Er fragte sich, warum er den unbedingten Drang verspürte, mit ihr zu sprechen.
    Er erreichte wiederholte Male seine eigene Mailbox, die Standardansage des Herstellers, eine blechern klingende Frauenstimme, die unwirsch eine Nachricht einforderte. Die eigentliche Ansage, Sannas Ansage, Sannas Stimme, hatte er vor drei Jahren, in der Nacht ihres Todes, gelöscht. Es war ein fast unbewusster Handgriff gewesen, einer, an den er sich kaum erinnern konnte.
    Beim vierten Versuch schloss er die Augen und begann zu sprechen: »Hier ist Kimmo. Hallo. Ich … es wird später bei mir … wegen Helsinki … ich war in Helsinki, beruflich, und bin auf dem Weg, aber die Straße ist … weil es stark schneit, wird es eine Weile dauern … bis bald …« Er wollte noch etwas sagen, spürte aber Sundströms Blick, der auf ihm ruhte, und unterbrach die Verbindung.
    »Was war das denn für ein Gestammel?«, fragte Sundström.
    »Hm?«
    »Das war ja …«
    »Was denn?«, sagte Joentaa.
    »Das klang nach einer neuen Frau in deinem Leben.«
23
    Kai-Petteri Hämäläinen betrachtete die Quoten vom Vorabend, die Tuula ihm reingereicht hatte. Sein Blick ruhte auf den Zahlen, und er versuchte, sich an die Gäste zu erinnern, um den Zahlen Gesichter zu geben.
    Sein Kopf war leer. Er hatte einen Blackout. Er musste sich doch an die Leute erinnern können, mit denen er am Vorabend gesprochen hatte. Es klopfte. Tuula stand in der Tür und sagte, dass das Mädchen da sei. Er sah sie fragend an.
    »Das Mädchen. Die Freundin des Amokschützen.«
    Er nickte.
    »Möchtest du mit ihr sprechen? Oder …«
    »Natürlich«, sagte er.
    Er blieb reglos sitzen, Tuula stand in der Tür.
    »Gleich. Ich komme gleich«, sagte er.
    Tuula nickte und ging.
    Die Gäste fielen ihm wieder ein. Die Gäste vom Vorabend. Natürlich. Der Tangokönig. Der Tangokönig war auf einer Landstraße mit einem Elch kollidiert und gestorben. Mit seiner Witwe hatte er am Vorabend gesprochen. Deshalb die Zahlen. Eine hohe Einschaltquote. Noch höher als sonst. Die Witwe des Tangokönigs. Und heute sprach er schon wieder mit einer Witwe. Wenn man das Mädchen so nennen konnte. Ein redaktioneller Fehler. Er konnte doch nicht an zwei Abenden hintereinander mit einer Witwe sprechen.
    Tuula kam und sagte, es sei schon in den Nachrichten. Er verstand nicht.
    »Mäkelä. Und der andere. Die Nachrichten fragen an, ob sie einen Ausschnitt aus unserer Sendung zeigen dürfen. Ich sage natürlich zu.«
    Hämäläinen

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