Im Winter der Löwen
mit dem elegant und warm ausgestatteten Wohnbereich. Vaasara hatte die Tür geöffnet und ließ Joentaa zuerst in den weiten, weißen Raum eintreten. Auf dem langen, massiven Holztisch im Zentrum des Raums standen Gefäße, Sprühdosen und Eimer mit Farbe. Joentaa ging auf den Tisch zu und sah in den Augenwinkeln Menschen, die an die Wände gelehnt saßen. Mit hängenden Köpfen. Ein roter und gelber Clown, der sich scharf abhob von dem Weiß, das den Raum dominierte. Im Schoß des Clowns lag ein Toter.
Ein Komiker erzählt Ernstes aus seinem Leben, dachte er.
Joentaa stand reglos, und Vaasara sagte: »Das … ist unser Atelier.«
Joentaa nickte, löste sich aus der Erstarrung und ging zu dem Tisch. Betrachtete die Gefäße.
»Silikon, Latex«, sagte Vaasara. »Silikon, Latex, Kunststoffe sind das Basismaterial bei der Herstellung.«
Joentaa nickte. Er sah im Augenwinkel die Puppen an der Wand und spürte ein Stechen in der Brust. In der Brust und hinter der Stirn. Er spürte einen Gedanken, der sich Raum schuf.
»Ich assistiere. Harri ist der Künstler«, sagte Vaasara.
Joentaa nickte. Beim besten Willen nicht, hatte Sundström gesagt. Sundström war inzwischen auch an den Tisch herangetreten und stellte Vaasara eine Frage, die Joentaa nicht hörte, weil ein Gedanke Raum gewann, ein Gedanke, den er noch nicht greifen konnte. Westerberg stand traurig im Türrahmen.
»Alles gut?«, fragte Sundström. Die Worte ereichten ihn in Wellen.
»Sicher«, sagte Joentaa.
Der Gedanke war Sanna. Der Moment, in dem die Nachtschwester das Licht angeschaltet hatte. Grelles, gelbes Licht, wie hier, in diesem Raum. Die gleichen weißen Wände. Er hatte Sannas Gesicht gesehen und nicht begriffen, was er sah. Nicht begriffen. Bis heute nicht begriffen. Er lief.
»Kimmo?«, hörte er Sundström sagen.
Das Wort kam in Wellen. Kimmo. Kimmo. Kimmo. Kimmo, hatte er geantwortet, als Sanna ihn gefragt hatte, wer er sei und wie er heiße. Als sie ihn nicht mehr erkannt hatte, als ihr die Welt, in der sie gemeinsam gelebt hatten, entglitten und eine neue, die er nicht verstand, an ihre Stelle getreten war. Ob er sie auf einem Pferd reiten sehen könne, hatte Sanna gefragt, und er hatte genickt, und Sanna hatte zum letzten Mal gelächelt.
Er ging durch den Korridor in den Wohnbereich. Es war warm. Er setzte sich auf das Sofa, auf dem Vaasara gesessen hatte. Er hielt den Kopf gesenkt, wie Vaasara bei ihrer Ankunft.
»Alles in Ordnung, Kimmo?«, fragte Sundström in seinem Rücken.
»Gleich«, sagte Joentaa. Er schloss die Augen und konzentrierte sich darauf, gleichmäßig zu atmen.
»Es … das sind alles nur Puppen …«, sagte Vaasara.
Sundström lachte kurz auf.
»Danke. Darauf wären wir im Leben nicht gekommen«, sagte Westerberg, im Türrahmen stehend, müde.
21
Der Besprechungsraum war dunkel und kleiner als der in Turku. Aufgabenbereiche wurden abgesteckt. Kompetenzen benannt. Beamte abgestellt, um den Informationsfluss zwischen Turku und Helsinki zu gewährleisten. Zwei Städte, eine Mordermittlung. Sundström und Westerberg vereinbarten, täglich zwei Mal zu festgelegten Zeiten zu telefonieren, um die wichtigsten Ermittlungsergebnisse auszutauschen.
Ein Gerichtsmediziner teilte mit, dass die erste Analyse eine wahrscheinliche Identität der Tatwaffen ergeben habe.
Wahrscheinliche Identität, dachte Joentaa.
»Wie Sie wissen, lassen Merkmale der Wundränder und der Stichkanäle Rückschlüsse auf die Beschaffenheit des verwendeten Werkzeugs zu, aber es ist keine exakte Wissenschaft«, sagte der Gerichtsmediziner.
»Uns reicht erst mal die Wahrscheinlichkeit«, sagte Sundström.
»Eine kleine, aber scharfe Klinge«, sagte der Gerichtsmediziner. »Vermutlich ein gebräuchliches Messer, also eines, das in großen Stückzahlen vertrieben wird.«
Sundström und Westerberg nickten.
Joentaa hörte wenig von dem, was gesagt wurde. Er dachte an Sanna, Sannas Gesicht, hinter dem das Leben zum Stillstand gekommen war. Das routinierte Mitgefühl der Nachtschwester. Die Fahrt nach Hause. Der Steg, der See im Dunkel. Die Kälte des Wassers an seinen Beinen, in dem Moment, in dem endlich der Schmerz eingedrungen war und sich ausgebreitet hatte.
Einer der Ermittler aus Helsinki erzählte von Harri Mäkelä. Seine Stimme wirkte gehetzt und hob und senkte sich in unnatürlich regelmäßigen Abständen. Mäkelä war der Beste gewesen. Hatte nicht nur für finnische Produktionen, sondern auch fürs amerikanische Kino Dummys
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