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Im Winter der Löwen

Titel: Im Winter der Löwen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Costin Wagner
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bezogenen Hotelzimmer.
    Joentaa schloss die Tür und stand eine Weile unschlüssig. Der kleine Weihnachtsbaum war eine Silhouette im Dunkel. Er lief, trat in die Kälte und holte die DVD aus dem Wagen. Der Schnee knirschte unter seinen Schritten. Dann saß er vor den flimmernden Bildern. Patrik Laukkanen lachte. Ein unsichtbares Publikum stimmte ein. Leena Jauhiainen lag wach. Das Baby schlief. Hämäläinen hob ein blaues Tuch an und gab den Blick frei auf ein verwundetes Gesicht.
    »Eine umgekehrte Beerdigung.«
    Er drehte sich um.
    »Das war es, was mich gestört hat. Jetzt weiß ich es wieder«, sagte Larissa. Sie ließ ihre schneeweiße Jacke auf den Boden gleiten und kam auf ihn zu.
    »Ich … habe dich nicht kommen hören«, sagte er. Sie saß neben ihm und sah ihn an. Er wich aus und betrachtete die flimmernden Bilder und spürte, dass ihr Blick auf ihm ruhte.
    »Was meinst du?«, fragte er.
    Sie schwieg.
    »Was meinst du mit …«
    »Umgekehrte Beerdigung. Es wird nicht getrauert, sondern gelacht, die Toten werden nicht begraben, sondern freigelegt«, sagte sie.
    Joentaa betrachtete ihr ernstes, trauriges Gesicht.
    Ihr Blick ruhte auf seinen Augen.
    Er nickte. Wartete. Ihre Hand schnellte nach vorn, er spürte einen reißenden Schmerz an seinen Wangen und fühlte sich fallen. Dann lag sie über ihm. Ihre Lippen waren an seinem Hals. Sie bewegte sich gleichmäßig und ruhig. Er schloss die Augen und ließ sich treiben. Sie sprach mit einer Stimme, die nicht ihr gehörte. Im Hintergrund lachte das Publikum. Er stellte sich vor, dass es immer so weitergehen würde. Fallen. Eine Ewigkeit hinabfallen. Er hörte sie in der Ferne lachen. Ein weicher, kühler Stoff an seinem Gesicht.
    »Entschuldige«, sagte sie.
    »Hm?«
    »Du blutest. Ich habe etwas zu fest gekratzt.«
    »Mhm.«
    »Ich mache das sauber. Hast du was zum Desinfizieren?«
    »Hm …«
    »Egal. Ich gehe duschen. Halt mal.«
    Er nahm das Handtuch, das sie ihm reichte. »Du musst es gegen die Wunde halten. Ist nur ein Kratzer, sieht schlimmer aus, als es ist.«
    Er nickte und sah ihr nach, während sie zum Badezimmer ging. Er lag auf dem Boden, neben dem Sofa. Das Rauschen der Dusche. Wasser. Ein unsichtbares Publikum. Er nahm die Fernbedienung und stellte den Ton ab. Er schmeckte das Blut in den Mundwinkeln.
    »Ich möchte dich etwas fragen«, sagte er, als sie zurückkam.
    »Ist alles in Ordnung mit dir?«, fragte sie.
    »Ja. Warum?«
    »Du liegst auf dem Boden, und das Handtuch, das du gegen dein Gesicht hältst, färbt sich rot.«
    »Halb so wild«, sagte er.
    Sie setzte sich im Schneidersitz neben ihn.
    »Ich möchte etwas fragen«, sagte er noch einmal.
    »Bitte«, sagte sie.
    »Was war das Schönste, das du erlebt hast?«
    Sie schwieg.
    »Ist das schwer zu beantworten?«, fragte er.
    »Nein«, sagte sie.
    »Also?«
    »Ich würde dich anlügen.«
    »Ach ja?«
    »Ja.«
    Er richtete sich auf und suchte ihre Augen.
    »Dann los«, sagte er.
    »Was?«
    »Ich möchte deine Lügen hören.«
    Sie schwieg wieder.
    »Wie alt bist du? Wie heißt du?«, fragte er.
    »Zweiundzwanzig. Larissa.«
    »Ich möchte …«
    »Beim Alter schummeln wir immer ein bisschen, aber höchstens um drei Jahre«, sagte sie.
    Dann stand sie auf.
    »Komm bitte erst, wenn die Wunde gestillt ist, das Bett ist frisch bezogen«, sagte sie im Gehen. Sie öffnete und schloss die Schlafzimmertür nahezu lautlos.
26
    Kai-Petteri Hämäläinen betrachtete Kai-Petteri Hämäläinen und fühlte sich schon ein wenig besser.
    »Es hat gerade erst angefangen«, sagte Irene. Sie gab ihm einen Kuss auf die Wange, setzte sich wieder auf das Sofa und betrachtete ihren Ehemann im Fernsehen.
    »Heute war doch dieses Mädchen bei euch, oder?«, fragte sie.
    »Ja. Die Freundin des Amokschützen«, sagte Hämäläinen.
    Er ging ins Bad, wusch seine Hände und spritzte sich ein wenig Wasser ins Gesicht. Dann kehrte er zurück ins Wohnzimmer, setzte sich neben Irene und legte ihr einen Arm um die Schulter.
    »Wie lief es?«, fragte Irene.
    »Gut«, sagte Hämäläinen.
    Auf dem Bildschirm hielt das Mädchen den Kopf gesenkt, während sie sich darauf konzentrierte, Unbeschreibliches in Worte zu fassen.
    Es war tatsächlich gut gelaufen.
    Er hatte sich wieder gefangen. Er hatte auf seinem Stuhl gesessen, sein Gesicht im Spiegel gesehen und schwer greifbaren Gedanken nachgehangen, und Tuula war gekommen und hatte noch einmal gesagt, dass die Zeit dränge, die Aufzeichnung beginne und das Mädchen still und

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