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Im Winter der Löwen

Titel: Im Winter der Löwen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Costin Wagner
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nickte.
    »Das ist ein Hammer«, sagte Tuula.
    »Ja«, sagte Hämäläinen.
    Tuula wollte wieder gehen, aber er hielt sie zurück.
    »Sag mal …«
    Sie wartete an der Tür.
    »Was meinst du, was da passiert ist … mit Mäkelä und dem … Gerichtsmediziner?«
    Tuula schien darauf zu warten, dass er die Frage präzisierte.
    »Hat das … irgendwas mit uns zu tun?«, sagte er.
    »Mit uns? Was meinst du damit?«
    »Ich weiß nicht … beide waren bei mir in der Sendung … ich habe mit ihnen gesprochen und jetzt …«
    »Die Herren über Leben und Tod«, sagte Tuula.
    »Wie bitte?«
    »Ich erinnere mich gerade … so hieß der Werbetrailer, den wir zu den beiden gemacht haben. Die Herren über Leben und Tod.«
    Hämäläinen schwieg.
    »Kommst du dann zu dem Mädchen? Ich glaube, sie braucht ein bisschen Zuspruch und Beruhigung«, sagte Tuula.
    »Gleich«, sagte Hämäläinen.
    »In zwanzig Minuten beginnt die Aufzeichnung«, sagte Tuula.
24
    Über den Schnee gleiten.
    Die Welt in Ordnung bringen.
    Schlafen. Träumen. Erwachen. Am Abend besucht sie Rauna. Die Kinder essen im großen, hell beleuchteten Speisesaal, und sie sitzt am Rand und sieht ihnen dabei zu. Pellervo Halonen, der Heimleiter, setzt sich lächelnd neben sie. Er fragt sie, wie es ihr gehe.
    »Gut«, sagt sie. »Es wird besser.«
    Rauna isst mit gutem Appetit und lacht ihnen entgegen, und Pellervo Halonen sagt: »Rauna freut sich immer, wenn Sie kommen. Es ist jedes Mal schön, das zu sehen.«
    Sie nickt.
    »Ich hoffe wirklich, dass Sie Rauna helfen können, wenn … wenn sie irgendwann begreift, was passiert ist. Wenn sie sich … dem Ganzen stellen muss.«
    Sie denkt eine Weile über seine Worte nach.
    »Das hoffe ich auch«, sagt sie schließlich.
    Pellervo Halonen steht auf und geht, und sie sieht ihm nach. Er ist ungewöhnlich jung, jünger als die meisten seiner Angestellten. Er geht immer aufrecht, immer dem Leben zugewandt. Das ist ihr schon bei ihrem ersten Besuch aufgefallen.
    Damals hat sie Angst davor gehabt, Rauna wiederzusehen. Eine Mischung aus Angst und Sehnsucht ist es gewesen. Sie hat mit dem Psychologen darüber gesprochen. Er hat abgeraten, und sie ist gleich am nächsten Tag losgegangen, um Rauna zu besuchen.
    Pellervo Halonens aufrechter Gang, während er sie zu Raunas Zimmer begleitet hat. Daran erinnert sie sich. Und an Raunas fernes Gesicht, in dem Moment, in dem ihre Augen sich getroffen haben. Rauna hat geschwiegen, und sie hat für Momente gedacht, dass Rauna sich nicht an sie erinnern kann. Dann ist die Angst in Raunas Augen einer Sehnsucht gewichen. Rauna ist auf sie zugelaufen und hat sie umarmt und gelacht. Pellervo Halonen hat gelacht. Sogar sie selbst hat gelacht. Zum ersten Mal seit langem.
    »Ich bin satt. Wollen wir puzzeln?«, fragt Rauna.
    Sie öffnet die Augen und sieht Rauna lächeln.
    Sie nickt. Rauna hüpft und springt voran, und sie folgt ihr ins Spielzimmer. Rauna puzzelt die Arche Noah. Gedankenverloren fügt sie ein Teil ins andere, bis das Bild vollkommen ist.
    Rauna sagt: »Fertig!«, und sie klatscht in die Hände und sagt, dass Rauna die beste Puzzlerin weit und breit ist, und Rauna fragt, wo der dritte Löwe sei. »Der dritte Löwe. Der dritte Affe. Die dritte Giraffe.«
    Sie weiß keine Antwort und sagt, das sei eine gute Frage.
    »Der dritte Löwe kommt später nach. Und die anderen auch«, sagt Rauna.
    Sie nickt.
    »Mit einem anderen Schiff«, sagt Rauna. »Im Winter.«
    Eine Betreuerin steht in der Tür. Die Besuchszeit endet. Sie liest Rauna noch eine Gute-Nacht-Geschichte vor, und am Ende ist Rauna in ihrem rosa Schlafanzug hellwach.
    »Wir sehen uns wieder!«, ruft Rauna, und die Betreuerin gibt ihr lächelnd die Hand zum Abschied.
25
    Das Haus weiß im Dunkel. Der Apfelbaum in Schnee gehüllt. Er parkte seinen Wagen und ging die wenigen Schritte zur Haustür. Öffnete und stand in der Stille. Auf dem Tisch im Wohnzimmer lag der Zettel. Daneben der Stift. Er sah den Zettel an, las die Worte, die er am Morgen geschrieben hatte, und fragte sich, ob Larissa sie gelesen hatte. Er wendete den Blick und sah die verschlossene Schlafzimmertür. Er stellte sich vor, dass hinter der Tür, auf dem Bett, Larissa lag. Sie war eingeschlafen und erwachte nicht mehr. Fand den Weg an die Oberfläche nicht mehr. Das Bild breitete sich aus, und er ging mit weiten Schritten zur Tür und öffnete sie ruckartig. Das Zimmer war leer. Das Bett war gemacht. Die Decken und Kissen lagen so exakt wie in einem gerade

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