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Im Winter der Löwen

Titel: Im Winter der Löwen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Costin Wagner
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Nerv, wie der sich aufgespielt hat, weil er Leichen fürs Fernsehen zusammenbastelt.«
    Der Kopf des Komikers zuckte, und Joentaa fragte sich, ob es Teil seines Auftritts war oder Teil der Realität. Vielleicht beides. Vielleicht war er in seiner Rolle aufgegangen, bis sich Realität und Illusion vermengt hatten. Mit den Zuckungen des Komikers erzählte er Ernstes aus seinem Leben.
    Leichen fürs Fernsehen …, dachte Joentaa, und an das, was Larissa gesagt hatte.
    Auch Harri Mäkelä und Patrik Laukkanen saßen noch in der Runde auf dem Bildschirm. Mäkelä schien den Ausführungen des Komikers wenig Interesse zu schenken, er blickte zu Boden und wirkte in Gedanken versunken und veränderte sein Mienenspiel nur, wenn er die Kamera auf sich gerichtet glaubte. Patrik Laukkanen schien dem Komiker aufmerksam zuzuhören. Der Moderator, Hämäläinen, saß aufrecht und reglos hinter seinem Schreibtisch, den Körper seinem Gesprächspartner zugewandt, mit jenem immer gleichen Ausdruck auf dem Gesicht, der zu sagen schien, dass er alles verstehen werde. Was immer da auch kommen möge.
    Hämäläinen …, dachte Joentaa vage.
    Realität und Illusion.
    »Ich möchte das nochmal sehen«, sagte Joentaa.
    »Wie bitte?«, fragte Sundström.
    »Nicht jetzt. Ich nehme die DVD mit, wenn es euch recht ist.«
    »Sicher«, sagte Sundström.
    »Und wir müssen über Hämäläinen nachdenken.«
    »Hämäläinen?«
    »Drei Menschen haben das Gespräch in der Talkshow geführt. Zwei sind tot, der dritte ist Hämäläinen.«
    Sundström schwieg eine Weile. »Ich verstehe, was du meinst. Das Problem ist, dass ich es für undenkbar halte, aus diesem Gespräch in der Talkshow ein Mordmotiv zu konstruieren. Es funktioniert einfach nicht. Es sei denn, wir gehen von einem Täter aus, der Menschen umbringt, weil sie im Fernsehen auftreten.«
    »Dann müssten wir viele schützen«, sagte Grönholm.
    »Das war ein Scherz, Petri. Ironie«, sagte Sundström.
    Ironie …, dachte Joentaa.
    »Wir werden natürlich mit Hämäläinen reden«, sagte Sundström. »Ich habe schon mit den Kollegen in Helsinki vereinbart, dass wir bei dem Gespräch dabei sind. Aber Personenschutz … das kommt mir momentan etwas weit hergeholt vor.«
    Joentaa nickte.
    »Wichtig ist, dass wir bald begreifen, was hier eigentlich los ist«, sagte Sundström.
    Auf dem Bildschirm erzählte der Komiker Ernstes aus seinem Leben.
    Die Toten, die unter blauen Tüchern auf Bahren lagen, hatten nie gelebt.
    Und Patrik Laukkanen, der nicht mehr lebte, führte ein Glas Wasser zum Mund.
20
    Joentaa fuhr mit Sundström nach Helsinki. Die Straßen waren breit und leer, die Wintersonne wich grauen Wolken, und es begann zu schneien.
    Sie saßen in Westerbergs Büro und tauschten aus, was sie wussten. Kimmo Joentaa bekam das Bild nicht aus dem Kopf, das Bild des lächelnden Laukkanen, der ein Glas Wasser zum Mund führt.
    Sundström hatte nicht übertrieben. Marko Westerberg schien tatsächlich sehr müde zu sein, während er sie über den Stand der Ermittlungen in Kenntnis setzte.
    Sie fuhren zu dem Haus, in dem Harri Mäkelä gelebt hatte und vor dessen Tür er gestorben war. Ein himmelblaues, ungewöhnlich breit angelegtes Holzhaus. In weiße Overalls gehüllte Polizisten sicherten Spuren. Hinter gelben Absperrbändern standen Nachbarn und Neugierige. Im Wohnzimmer saß ein junger, hagerer Mann auf einem Sofa. Er hielt den Kopf gesenkt und hatte die Augen geschlossen.
    »Herr Vaasara?«, sagte Westerberg mit seiner traurigen, die Worte verlangsamenden Stimme.
    Der Mann hob den Blick.
    »Das sind Kollegen aus Turku. Paavo Sundström und Kimmo Joentaa.«
    Der Mann nickte.
    »Nuutti Vaasara«, sagte Westerberg. »Er ist … er hat hier mit Harri Mäkelä … gelebt, und … sie haben … auch gemeinsam gearbeitet.« Westerberg wirkte besonders müde, während er das sagte.
    Der junge Mann nickte, Sundström und Joentaa nickten.
    »Ich würde gerne Näheres über ihre Arbeit erfahren«, sagte Joentaa.
    Der junge Mann starrte ihn eine Weile an, und Joentaa war nicht sicher, ob er verstanden hatte. Er wollte gerade neu ansetzen, als Vaasara sagte: »Das Atelier ist im hinteren Bereich des Hauses.«
    »Könnte ich mir das mal ansehen?«, fragte Joentaa.
    »Sicher«, sagte Vaasara und stand auf. Er war groß und bewegte sich in fließenden, koordiniert wirkenden Bewegungen. Joentaa, Sundström und Westerberg folgten Vaasara durch einen langen Korridor und betraten eine Welt, die nichts gemein hatte

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