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Im Winter der Löwen

Titel: Im Winter der Löwen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Costin Wagner
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    Kai-Petteri Hämäläinen stand in der Küche, als Tuula den Wagen aufs Grundstück steuerte. Er sah, wie Tuula und Mertaranta ausstiegen, sah, wie sie, von Blitzlichtgewitter begleitet, aufs Haus zukamen. Einige Journalisten hielten Mikrofone über den Zaun und baten schreiend um ein kurzes Interview.
    Hämäläinen ging, um zu öffnen.
    »Du liebe Güte«, sagte Raafael Mertaranta.
    »Hammer«, sagte Tuula und umarmte ihn mit einem breiten Lächeln, bevor Mertaranta ihm lange und innig die Hand schüttelte. Der Große, der sehr Große sowie Irene und die Mädchen standen im Hintergrund.
    »Irene, freut mich, Sie zu sehen«, sagte Mertaranta. Er ging auf sie zu, beugte sich hinab und deutete einen Handkuss an. »Hallo, ihr zwei«, sagte er zu den Mädchen.
    »Hallo, Raafael«, sagte Irene. »Hallo, Tuula.«
    Die beiden Frauen umarmten sich, kurz und distanziert. Die beiden Beamten zogen sich wortlos in den hinteren Bereich des Hauses zurück, und Mertaranta bat um einen möglichst starken Kaffee.
    »Ich mache euch einen«, sagte Irene und ging in die Küche.
    »Deine … Bodyguards?«, fragte Mertaranta.
    »Hm? Äh, ja. Sozusagen. Kommt doch rein«, sagte Hämäläinen und ging voran ins Wohnzimmer. »Kobolde, ihr könnt spielen gehen, wenn ihr mögt.«
    Die Mädchen liefen die Treppe hinauf, Tuula setzte sich aufs Sofa, und Mertaranta ließ sich mit einem gut gelaunten Seufzer in den Sessel fallen. Hämäläinen setzte sich auf das zweite Sofa, so dass sie ein Dreieck bildeten. In der Küche zischte und gurgelte die Kaffeemaschine.
    »Lass mich was sagen«, sagte Mertaranta nach einigen Sekunden des Schweigens. »Lass mich einfach erst mal sagen, dass ich ungeheuer froh bin, dass du hier bist, dass wir hier heute gemeinsam zusammen sein können. Und dass ich stolz darauf bin, wirklich stolz, und das sage ich mit Bedacht, dass du … das Flagschiff unseres Senders bist.«
    »Danke«, sagte Hämäläinen. Er wartete auf das wohlige Gefühl, aber es schien sich nicht einzustellen. Es war nicht unüblich, dass Mertaranta solche Sätze sagte, es gehörte zu den vordringlichsten Aufgaben eines Senderchefs, seinen Star zu hegen und zu pflegen, ihn über die Tiefen hinwegzutragen und im Moment des Triumphs der erste Gratulant zu sein. Kai-Petteri Hämäläinen wusste das, er hatte gelernt, es als selbstverständlich zu betrachten, und er hatte es genossen. Aber heute wollte sich das Gefühl nicht recht einstellen.
    »Danke«, sagte er noch einmal, und Irene brachte ein weißes Tablett mit weißen Tassen und einer weißen Kanne, aus der heißer Dampf drang.
    Sie tranken. Setzten die Tassen ab. Dann begann Tuula, die Strategie zu erläutern, die sie und Mertaranta sich zurechtgelegt hatten.
    »Also, wir machen es so: Nachher fährst du mit den beiden Beamten zum Sender. Rümpf jetzt bitte nicht die Nase, wenn ich sage, dass du lächeln solltest.«
    »Lächeln«, sagte Hämäläinen, ohne die Nase zu rümpfen.
    »Ja, lächeln. Den Eindruck vermitteln, dass alles in Ordnung ist. Und du sagst natürlich nichts, du steigst einfach nur in den Wagen. Du schweigst, bis die Sendung beginnt.«
    Den Eindruck vermitteln, dass alles in Ordnung ist …
    »Deinen ersten Satz habe ich dir übrigens schon auf den Leib geschrieben«, sagte Tuula.
    »Wenn ich dich nicht hätte«, sagte Hämäläinen.
    Irene räusperte sich und fragte, ob sie nachschenken dürfe.
    »Gerne«, sagte Mertaranta.
    »Ich weiß, dass es vielleicht etwas anstrengend ist, das durchzusprechen, aber wir sind uns doch alle darin einig, dass wir … dass wir den größtmöglichen Effekt erzielen möchten«, sagte Tuula.
    »Sicher«, sagte Hämäläinen.
    »Was du heute machst, ist großartig und ungewöhnlich, und wir wollen ganz einfach, dass es auch so rüberkommt«, sagte Tuula. »Richtig?«
    Es kam kein Einwand.
    »Also, du steigst ein, lässt dich zum Sender fahren, steigst dort aus und verhältst dich genau so – lächeln und schweigen – und dann ziehst du dich zurück, und wir beide gehen nochmal den endgültigen Ablauf und den Fragenkatalog durch. Auf letzte Vorgespräche von deiner Seite verzichten wir, das Briefing der Gäste übernehmen Olli Latvala und Margot Lind.«
    Hämäläinen nickte. »Klingt gut«, sagte er.
    Tuula lehnte sich erleichtert zurück.
    »Das ist ein wunderbarer Kaffee, Irene«, sagte Raafael Mertaranta.
61
    Der Turm aus Glas hob sich scharf vom hellblauen Himmel ab, in den er hineinragte. Kimmo Joentaa betrat das Gebäude durch die

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