Im Winter der Löwen
sich Ermittlung nannte, recht weit oben auf der Liste der Verdächtigen geführt wurde.
Er saß einfach nur da, den Blick auf die Wand und in eine ferne Welt gerichtet, die Arme mit den Verbänden in den Schoß gelegt.
Sundström räusperte sich, betrachtete den großen, hageren Mann, und Vaasara hob den Blick.
»Haben Sie Schuhgröße 38, Herr Vaasara?«, fragte Sundström.
Vaasara schwieg lange.
»Nein«, sagte er schließlich, ohne ein Anzeichen von Irritation, Spott oder gar Belustigung in der Stimme.
65
Raafael Mertaranta warf ihr eine Kusshand zu, bevor er in den Aufzug stieg und entschwebte.
Tuula Palonen wandte sich ab und ging in die Kantine. Ein kurzes Stechen im Magen, als sie die abgesperrte Fläche passierte, das Rechteck glatten Bodens, auf dem Kai-Petteri gelegen und um sein Leben gekämpft hatte. Der Gedanke war unwirklich.
Sie wählte die Avocado-Suppe, das Risotto und zum Nachtisch eine rosa, mit Himbeeren garnierte Creme, die verdächtig sahnig, aber lecker aussah. Dazu ein Glas Wasser und einen schwarzen Kaffee.
Sie setzte sich an einen abseits stehenden Tisch, aß zügig und war in Gedanken schon so vertieft in den Ablauf der kommenden Stunden, dass sie den Geschmack der Speisen kaum wahrnahm.
Am Ende zog sie die Himbeercreme und den Kaffee zu sich heran und nahm den Ablaufplan und einen Rotstift aus ihrer Aktentasche. Sie begann zu lesen, nahm ab und an einen Löffel von der Creme, einen Schluck Kaffee und versah bereits abgearbeitete Aktionen mit einem Haken.
An einer Stelle stutzte sie kurz und dachte an den Polizisten, Joentaa. Sie würde ihn anrufen und ihm sagen, dass es keine auffälligen Reaktionen auf das Interview mit Mäkelä und dem Gerichtsmediziner gegeben hatte. Keine Drohbriefe oder dergleichen. Natürlich nicht. Zahlreiche Zuschriften hatten den Informationsgehalt der Sendung gelobt, und die Verfasser hatten sich bedankt, aber das war wohl nicht das, was Joentaa suchte. Sie fragte sich ohnehin, was er suchte, und dachte an die rätselhaften Fragen, die er gestellt hatte, zu den Puppen und imaginären Todesursachen.
Sie betrachtete den Ablaufplan, die Einspieler und Anmoderationen, und ihr Blick blieb erneut am fünften Themenschwerpunkt haften.
Sie dachte an Harri Mäkelä. An den feucht-fröhlichen Abend nach der Aufzeichnung. Mäkelä, der ein Bier nach dem anderen in sich hineinschüttete und aus dem Nähkästchen plauderte. Ein Flugzeugabsturz, der keiner war. Sie erinnerte sich noch, dass sie nicht begriffen hatte, was er ihr eigentlich hatte sagen wollen. Aber vielleicht konnte ja dieser schweigsame Polizist etwas damit anfangen. Joentaa.
Sie nahm sich vor, ihn anzurufen, sobald sich ein kleiner Freiraum auftat, und nahm einen letzten Löffel aus der Schale mit der Himbeercreme. Sie leerte die Kaffeetasse, ging durch die Halle, an dem gelb abgegrenzten Viereck vorbei, zu den Aufzügen und fuhr in den Zwölften. Im Großraumbüro der Talkshow Hämäläinen saß Margot Lind und telefonierte.
»Olli sucht dich«, sagte sie, als sie den Hörer auflegte. »Und einer dieser Polizisten hat angerufen. Beziehungsweise einer vom Empfang, um durchzugeben, dass er den Polizisten nicht zu uns durchstellen konnte und dass der Polizist um Rückruf bittet.«
»Aha«, sagte Tuula Palonen.
»Moment, ich habe den Namen notiert. Joentaa, aus Turku.«
Joentaa, dachte Tuula Palonen. Joentaa, Nervensäge. In diesem Moment betrat Olli Latvala das Büro, schwungvoll und zuversichtlich, wie immer, und sagte:
»Ein Polizist hat dich gesucht. Joentaa.«
Margot Lind kicherte. »Der scheint ja hartnäckig zu sein.«
»Inwiefern?«, fragte Latvala.
»Schon gut, ich rufe ihn an«, sagte Tuula Palonen. »Gib mir mal die Nummer, Margot.«
»Brauchst du nicht. Er ist schon hier. Sitzt oben bei den Cuttern und sieht sich Archivmaterial an.«
»Aha«, sagte Tuula Palonen. »Was für Archivmaterial?«
»Die Rohfassung der Show mit Mäkelä und dem Gerichtsmediziner. Und alles, was wir sonst noch an Zeug finden konnten. Aufnahmen der Handkamera zum Beispiel.«
»Aha«, sagte Tuula Palonen.
»Er wollte vor allem wohl Aufnahmen des Publikums sehen«, sagte Latvala.
»Aha«, sagte Tuula Palonen. »Ja. Ich gehe gleich mal zu ihm.«
»Brauchst du nicht. Wenn ich das richtig verstanden habe, konnte ich ihm alles liefern, was er haben wollte«, sagte Latvala.
»Ah. Um so besser«, sagte Tuula Palonen.
»Wenn du Zeit hast, würde ich gerne ein, zwei Ideen zum Bühnenbild mit dir
Weitere Kostenlose Bücher