Im Wirbel der Gefuehle
müsste.«
»So hätte ich das ja nicht dargestellt.«
»Vielleicht nicht, aber das wollte ich nicht riskieren. Du warst ... du bist ja ... prinzipiell ein Fremder. Du bist schließlich auch der Nachtfalke, der Anführer der Bruderschaft der Fechtmeister, ein Mann, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, Frauen und Kinder zu beschützen und diejenigen, die sich gegen die Wehrlosen versündigen, mit Blut bezahlen zu lassen.«
Sie hatte ihn einen Fremden genannt. Einen Fremden, obwohl sie neben ihm in seinem Bett gelegen hatte und noch vieles mehr zwischen ihnen passiert war, viel mehr. Er wandte sich ab und umklammerte fest das Geländer, ganz so, wie sie es auch machte. Er krampfte sich so sehr in das Holz der Brüstung, dass seine Fingerknöchel weiß hervortraten. »Woher weißt du das?«
»Über deine nächtlichen Aktivitäten? Ich bin dir gefolgt.«
»Du hast was gemacht?« Er war perplex, nicht zuletzt deswegen, weil es ihm nicht aufgefallen war, dass ihm in jener Nacht jemand unbemerkt folgte. Wo hatte er nur seine Gedanken gehabt? Eigentlich hätte er sich das auch denken können.
»Ich habe dich gesehen, als du in jener ersten Nacht, die du auf River’s Edge verbracht hast, zu mitternächtlicher Stunde weggeritten bist. Für mich war es wichtig, zu wissen, wohin du unterwegs warst, ob du zu einer anderen Frau gehen würdest.«
»Zu Vinot, ich bin nur zu Vinot gegangen.«
»Aber das konnte ich ja nicht wissen. Immerhin hatte ich einen Ehemann gehabt, der es als sein Vorrecht ansah, in die Betten anderer Frauen zu steigen, wann immer er dazu Lust verspürte. Noch so einen wollte ich auf keinen Fall.«
»Du bist mir in jener Nacht gefolgt, um sicherzugehen, dass ich auch mein Ehegelübde einhalten würde.« Langsam wurde ihm alles klar. Mo, der Stallbursche, hatte ihm erzählt, dass die junge Dame des Hauses ausgeritten war, jetzt wusste er, wieso.
»Ich denke schon.«
»Aber du hattest keine Probleme, ein Ehegelübde abzulegen, während du fürchten musstest, dass dein rechtmäßiger Ehemann noch leben und sich auf dem Anwesen deiner Eltern herumtreiben würde.«
Sie schaute ihn unglücklich an. »Die Hochzeit abzusagen, nur weil ich für einen kurzen Augenblick einen Schatten in der nächtlichen Dunkelheit gesehen hatte, erschien mir verrückt und lächerlich zugleich. Außerdem hoffte ich insgeheim, dass ich mich getäuscht hätte.«
»Du hast gehofft ...«, begann er.
Sie fuhr fort, als ob er nichts gesagt hätte. »Sag mir nicht, dass du nicht auch eine Ahnung gehabt hast, dass Theodore noch am Leben ist. Du hast unsere Hochzeit dazu benutzt, um ihn aus der Deckung zu locken. Aber du hättest die Sache wohl auch, ohne mit der Wimper zu zucken, durchgezogen, wenn er nicht erschienen wäre, oder?«
»Oh ja«, erwiderte er trocken und betrachtete ihr vor Wut hochrotes Gesicht. »Das hätte ich.«
»Zweifellos nur, um zu sehen, ob ich am Ende doch noch ablehne, was der Beweis gewesen wäre, dass ich eigentlich keine Witwe bin. Es tut mir furchtbare leid, dass ich dich um diesen Schlussakt gebracht habe. Die Wahrheit ist jedoch, dass niemand auf River’s Edge wusste, ob Theodore wirklich noch am Leben ist, bis es dann im Prinzip schon zu spät war.«
»Vergib mir, aber das kann ich kaum glauben, schließlich wurde Marguerite von ihm terrorisiert.«
»Mach dich nicht lächerlich. Für sie war er nur ein Phantom, ein Monster aus einer alten Welt des Aberglaubens.«
»Sie hat ihn für einen kurzen Augenblick gesehen, damals vor dem Theater, darauf würde ich wetten, denn sie war so erschrocken von seinem Anblick, dass sie aus Angst plötzlich auf die Straße gelaufen ist und dort fast überfahren worden wäre. Für sie war er ein Monster, ja, wegen seiner Narben, aber da sie auch sein Porträt vor Augen hatte, muss ihr eine gewisse Ähnlichkeit aufgefallen sein. Als ich sie bei der Rettungsaktion in den Armen hielt und wir alle zu Fall kamen, da sagte sie ... ich dachte, sie würde mich Papa nennen, doch sie versuchte, uns deutlich zu machen, dass sie ihn gesehen hatte.«
Reine presste ihre Lippen zusammen und wandte sich von ihm ab. »Zugegeben, nach diesem furchtbaren Ereignis hat sie nach ihm gefragt, aber ich habe ihr immer wieder gesagt, dass ihr Vater im Himmel sei.«
»Deshalb hat sie ihn dann in einen loup-garou verwandelt, um sich selbst zu erklären, warum er immer noch da war.«
Reine musste eine Träne verdrücken, die aus ihren Wimpern herauslief und sich ihren Weg über ihre Wange
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