Im Wirbel der Gefuehle
langsamen Schritten begab er sich in den Gang zwischen den Bankreihen der Kapelle und ließ seinen Blick über die anwesenden Hochzeitsgäste schweifen.
»Meine lieben Freunde, meine Familie«, begann er in feierlichem Ton, »diese Angelegenheit nahm nun einmal nicht den erwarteten Verlauf, und es ist für uns alle ein großes Ärgernis. Nichtsdestotrotz wurde Euch ein großes Fest versprochen, und ich möchte diesbezüglich niemanden enttäuschen. Lasst uns also die Aufregung vergessen und zurück zum Haus gehen. Essen muss man ja schließlich, nicht wahr? Trinken und zu guter Musik tanzen sollte man auch, unabhängig davon, wie schwermütig man gerade ist. Wenn wir uns nun schon nicht an einer Hochzeit erfreuen können, dann sollten wir zumindest die Tatsache feiern, dass wir hier alle in großer Runde zusammengekommen sind.«
Das hatte eine einfache und zwingende Logik. Die Gäste begaben sich nach und nach alle durch den strömenden Regen zurück zum Haupthaus. Es stellte sich unweigerlich ein gewisser Grad an Normalität ein, denn fast jeder war gezwungen, sich darum zu kümmern, dass seine Kleider trockneten, und man war damit beschäftigt, sich wieder einigermaßen herzurichten. Ein gutes Essen und reichlich zu trinken taten ihr Übriges. Bald schon nahm die Feier ihren Lauf.
Während die anderen Gäste sich im Speisesaal versammelten, ein Glas Wein oder Cognac in der Hand,
Horsd’ceuvres von kleinen Tellern aßen und von Monsieur Cassard und Paul umsorgt wurden, zogen sich Christien und die anderen Fechtmeister auf die obere Galerie zurück. Dort, vor seinem Schlafzimmer, steckten sie die Köpfe zusammen und redeten leise, aber eindringlich aufeinander ein, übertönt vom prasselnden Regen, der sich in Kaskaden vom Dach herunter ergoss.
Caid und Gavin waren die Glücklichen, die die beiden längsten Strohhalme zogen und denen die Ehre zuteil wurde, als Sekundanten zu dienen. Man setzte auch ein Schreiben an Dr. Laborde auf, um ihn um seine Anwesenheit an dem fraglichen Tag des Duells zu bitten. Man diskutierte über geeignete Orte, an denen der Zweikampf ausgetragen werden könnte, was nicht so einfach war, denn weder sollten die Damen belästigt werden, noch wollte man die Behörden darauf aufmerksam machen. Schließlich wurde die Entscheidung zugunsten der großen Waldeslichtung getroffen, dort, wo Christien auf Reine und Marguerite bei ihrem Picknick traf und wo sie im Unterholz Theodores Schatten sahen, ohne zu wissen, dass er es war.
Als es dann nichts weiter mehr zu besprechen gab, zerstreute sich die Gruppe, und die Fechtmeister suchten ihre Frauen, um sie bezüglich des bevorstehenden Ereignisses in Kenntnis zu setzen. Man mischte sich wieder unter die anderen Gäste und probierte von den bereitgestellten Köstlichkeiten. Nur Christien blieb dort, wo er war, denn angesichts der Tatsache, dass gerade seine Eheschließung misslungen war, hatte er verständlicherweise nicht den mindesten Appetit. Er trat an das Geländer vor, lehnte sich seitlich an einen Stützpfosten der Galerie und blickte versonnen in den regnerischen Abendhimmel.
Er war frustriert und verärgert über das Vorgefallene und natürlich auch über sein eigenes Verhalten. Er wollte unbedingt Reine finden und ihr alles erklären, ihr zu verstehen geben, warum er und Vinot diesen Plan geschmiedet hatten, ihr seine Loyalität gegenüber Vinot und der Bruderschaft nahebringen.
Wenn die Hochzeitszeremonie nur schneller vonstatten gegangen wäre, der Priester nicht so langsam geredet hätte, dann wäre vielleicht alles ganz anders verlaufen. Zumindest hätte eine kleine Chance bestanden, dass er zu Reines rechtmäßigen Ehemann erklärt worden wäre. Ein Mann, der alle Brücken hinter sich abgebrochen hatte und auch die Behörden glauben ließ, dass er tot wäre, und die entsprechenden gesetzlichen Implikationen billigend in Kauf nahm, konnte nicht von heute auf morgen wieder als Lebender auftreten. Genau das tat Theodore aber, er beanspruchte Reine als seine ihm angetraute Frau und Marguerite als seine Tochter, so als ob nie etwas gewesen wäre.
Eine solch dramatische Wiederauferstehung vor großem Publikum konnte man nicht voraussehen. Es schien eher wahrscheinlich, dass er sich Christien unter vier Augen offenbaren würde oder gleich eine Konfrontation mit dem Degen oder der Pistole gesucht hätte. Natürlich, das war ja auch passiert, Christien spürte es nur allzu schmerzlich, seitlich in seiner Brust, dort, wo seine Wunde immer
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