Im Wirbel der Gefuehle
monströse Bett ihrer Eltern.
Noch vor ein paar Minuten war sie so müde gewesen, dass sie der Schlaf beinahe im Stehen übermannt hätte, doch nun lag sie hellwach. Ihr geliehenes Nachthemd war am Hals viel zu eng, und jedes Mal, wenn sie sich umdrehte, schnürte es ihr die Luft ab. Ihr wurde ganz heiß, wenn sie nur daran dachte, was eigentlich zu dieser mitternächtlichen Stunde passieren hätte sollen. Sie dachte an Christien, der allein in seinem Bett lag. Sich zu ihm zu begeben, würde allerdings auch bedeuten, dass sie über die zahlreichen Kinder im Flur steigen müsste, die dort ihr Nachtlager hatten, doch das wäre vielleicht noch machbar. Er würde sie auch nicht zurückweisen, dessen war sie sich sicher.
Es war mehr ihr Stolz, als das Bewusstsein, damit eine Sünde zu begehen, der sie zurückhielt. Er dachte, sie wäre dazu fähig, mit einer Lüge zu leben und die Wahrheit über das Verschwinden von Theodore unter Verschluss zu halten, das traf sie tief. Aber auch, dass er sie heiraten wollte, nur damit ihr Ehemann aus seinem Versteck gekrochen kam, sobald er davon erfuhr. Er hatte sich ihr aufgedrängt, ihnen allen, ohne Rücksicht darauf, ob er jemanden dabei verletzten würde oder nicht. Begehrt hatte er sie, geliebt und in ihr die höchsten Gefühle geweckt, doch offensichtlich war in seinem Herzen kein dauerhafter Platz für sie. Würde sie nun zu ihm gehen, in sein Bett, dann käme sie als Bittstellerin, als eine von ihren Leidenschaften beherrschte Frau, die keine Kontrolle mehr über sich hatte, sich selbst so wenig wert erachtete, dass für sie bereits alles gleichgültig war.
Das konnte sie einfach nicht tun, obwohl sich ihr Herz zusammenkrampfte und ihr die Tränen in den Augen standen.
Nein, sie sollte das wirklich nicht tun.
Könnte sie es denn?
Sie starrte in die Dunkelheit, während ihre Gedanken immer wieder um das Gleiche kreisten, doch endlich fasste sie einen unausweichlichen Entschluss. Es sollte nicht sein, und mit dieser einmal getroffenen Entscheidung, die sie jetzt auch für sich selbst akzeptieren konnte, überkam sie auch der überfällige Schlaf und ihre Anspannung löste sich endlich.
Helles Sonnenlicht drang durch die Schlitze in den Fensterläden, als sie schließlich aufwachte. Die Hitze im Zimmer war bereits recht drückend, und die durch den abendlichen Regen entstandene Feuchtigkeit in der Luft verbreitete zusätzlich eine unangenehme Schwüle, sodass es kaum auszuhalten war. Reines Mutter lag bereits wach im Bett und wunderte sich zunächst über die Anwesenheit ihrer Tochter, war dann aber mit dieser am Vorabend getroffenen Regelung durchaus einverstanden.
Als sie sich über brennenden Durst beklagte, schälte Reine sich aus dem Bett und schenkte ihr ein Glas Wasser aus der neben ihr stehenden Karaffe ein. Sie dachte daran, sich anzuziehen, doch alles, was sie im Moment bei sich hatte, war ihr Hochzeitskleid. Deshalb entschloss sie sich, vorläufig ein Kleid ihrer Mutter überzuziehen, bis sie sicher war, dass Christien wach sein würde und Alonzo einige Sachen von ihr holen könnte, die wegen der Hochzeit in den Schrank in Christiens Zimmer verbracht worden waren. Bis dahin war sie hier allerdings gefangen. Inzwischen musste
ihr Vater die Rolle des Gastgebers alleine übernehmen, zumindest so lange, bis sie wieder adäquat gekleidet war.
So vieles musste jetzt wieder rückgängig gemacht werden, eigentlich fast alles, einfach alles.
»Läute doch bitte, damit wir einen cafe au lait bekommen. Ja, cherie!«, bat ihre Mutter sie. »Ich glaube, ich vertrage auch ein Stück Gebäck, hoffentlich sind noch ein oder zwei von gestern Abend übrig.«
»Bestimmt«, erwiderte Reine und setzte ein Lächeln auf, während sie sich in Bewegung setze, um, wie ihr geheißen, an der Leine neben dem Kamin zu ziehen, an der die Klingel hing.
»Gut, dass du dich besser fühlst.«
»Ja, mir scheint auch, dass es mir besser geht«, antwortete ihre Mutter. Dann wurden ihre Lippen schmal. »Theodore ist wiedergekommen, ja? Oder habe ich das geträumt?«
Reine wurde augenblicklich in die harte Realität zurückgeholt und verlor ihr Lächeln. »Ja, er war da, in der Kapelle.«
»Aber er war so anderes, ganz anders. Oh, Reine ...«
»Denk einfach nicht daran.«
»Die Hochzeit hat nicht stattgefunden, oder? Ich meine ...«
»Ich weiß, was du meinst. Nein, hat sie nicht.«
»Gott sei Dank, dass du verschont worden bist. Oh, aber das Gerede! Wie werden die Leute sich nur die
Weitere Kostenlose Bücher