Im Wirbel der Gefuehle
er die Stufen hinunter auf ihn zu kam, lag in den haselnussbraunen Augen des Jungen eine tiefe Nachdenklichkeit. Bevor er zu sprechen anhob, wartete er, bis Christiens schwarzer Hengst weggeführt wurde und Alonzo die mitgebrachte Schachtel und seine Reisetasche ins Haus getragen hatte.
»Ich habe gehört, dass Sie und Reine heiraten werden.«
»Ja, sie hat mir die Ehre erwiesen, auf meinen Vorschlag einzugehen«, antwortete Christien vorsichtig. Der Junge musste gestern Nacht tief geschlafen haben, denn die Aufregung im Haus hatte er offenbar nicht mitbekommen. Wenn er genau nachdachte, so war er sich auch ziemlich sicher, dass Paul, im Gegensatz zu den anderen, nicht im Flur gestanden hatte.
»War das nicht eher ein Vorschlag mit der Wahl zwischen heiraten oder ausziehen?«
»Ich hoffe, dass ich das nicht so unverblümt dargestellt habe.«
»Mussten Sie Reine dazu zwingen, Sie zu heiraten?«
Das war eine gute Frage, doch die Antwort darauf wollte Christien keinesfalls mit seinem zukünftigen Schwager erörtern. »Es war wohl die beste Möglichkeit, um ihr und allen anderen das Bleiben zu ermöglichen, vielleicht auch die Einzige.« »Sie hätten sie wenigstens zuerst ein wenig hofieren können.«
»Glaubst du, das hätte was gebracht?«, antwortete Christien trocken.
»Vielleicht nicht, aber sie hat mehr verdient als diese pro forma Alternative, nämlich das Recht auf eine wirkliche Wahl zwischen ja und nein.«
»Da hast du recht.« Madame Pingre hatte sicherlich mehr verdient, als das, was er ihr erlauben konnte.
Paul blickte Christien abschätzend an. Er taxierte den Eindringling in einer Weise, wie es sich sonst nur Männer mit viel Lebenserfahrung erlauben konnten. »Werden Sie sich ihr gegenüber ehrenhaft verhalten?«
»Ich gebe dir mein Wort darauf.«
»Sie hat genug von schlechten Ehemännern.«
Christien zog die Augenbrauen zusammen, denn er ahnte, warum Paul sich zu dieser Frage veranlasst sah. »Ich werde mich bemühen, ein guter Ehegatte zu sein.«
»Wenn dem so ist, dann wird alles in Ordnung sein.«
»Das soll was bedeuten?«
»Sie wird tun, was man von ihr erwartet, doch sie wird sich zu nichts drängen lassen. Wenn Sie das versuchen, dann haben Sie schon verloren.«
Während Paul redete, dachte Christien daran, wie es wohl im Ehebett mit ihr sein würde. Er konnte es dem Jungen kaum verübeln, besorgt zu sein, doch er ärgerte sich über die unterschwellige Annahme, dass er einer Frau Gewalt antun könnte. »Beim Fechten braucht man Geduld«, sagte er nachdenklich, »aber man braucht auch die Fähigkeit, die Gefühle und Absichten des anderen einschätzen zu können. Der maitre d’armes, der am längsten lebt, kann am meisten von den Fehlern der anderen lernen.«
Paul schürzte seine Lippen und nickte bedächtig.
»Das ist dann schon in Ordnung, denke ich. Aber, wenn Sie Reine verletzten sollten, dann haben Sie es mit mir zu tun.«
Provozierend streckte er sein Kinn vor, ganz so, als ob er erwartete, dass Christien seine Drohung sonst nicht ernst nehmen würde. Er hatte diese Geste wohl nicht zum ersten Mal gemacht, wie an der Narbe unter seinem glattrasierten Kinn zu erkennen war.
»Sie kann sich glücklich schätzen, so einen Bruder zu haben«, sagte Christien versöhnlich und streckte ihm freundschaftlich die Hand entgegen, »doch ich hoffe, dass sie es in Zukunft nicht nötig haben wird, ihren Bruder als ihren Beschützer anzurufen. Das sollte nämlich eindeutig mein Part sein.«
»Vielleicht wird sie noch mehr Schutz brauchen, als Sie glauben, womöglich mehr, als sie es selbst vermutet.«
»Ich werde für sie da sein.« Christien nahm die Warnung durchaus zur Kenntnis.
»Das wäre gut«, antwortete Paul und nahm die ihm angebotene Hand zögerlich an. »Es könnte auch von Vorteil sein, dass Sie geschickt mit dem Degen umgehen können, Nachtfalke.«
Christien reagierte nicht weiter auf die Nennung seines Stammesnamens. Er hielt sich auch beim Händeschütteln zurück, um dem jungen Cassard nicht das Gefühl zu geben, unterlegen zu sein. Zögernd gab er dem Gespräch eine andere Wendung, denn er hatte das Gefühl, das noch etwas in der Luft lag. »Wenn es etwas gibt, das du mir sagen möchtest, dann raus damit.«
»Nein, nichts weiter. Nur, dass Sie auf Reine achtgeben.«
Christien nickte zustimmend, denn genau das hatte er sowieso vor. Dem Blick von Paul wich er so lange nicht aus, bis dieser von der Ernsthaftigkeit seiner Zusicherung überzeugt war. Schließlich
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