Im Wirbel der Gefuehle
unserer Pfarrei Unterricht nehmen«, erklärte Paul mit wenig Begeisterung.
»Wenn er bis zu seinem achtzehnten Geburtstag seine Studien abgeschlossen hat, dann wird ihn Pater Damien mit auf große Fahrt nehmen«, fügte Reine hinzu. Doch dann verhärteten sich ihre Gesichtszüge, und sie fuhr nach einer kurzen Pause fort. »Zumindest war das der Plan, bevor ... bevor Sie River’s Edge übernommen haben.«
»Ich sehe keinen Grund, warum man das ändern sollte«, antwortete Christien ernst.
»Pater Damien wird sich freuen, das zu hören«, kommentierte Reine unbewegt. Ihr Bruder jedoch war nicht so emotionslos.
»Das meinen Sie wirklich?«, rief er erleichtert aus und bekam augenblicklich Farbe im Gesicht. »Ich ... ich dachte, die Reise würde bestimmt abgesagt werden. Das muss ich gleich Pater Damien erzählen und natürlich Gaston und Ambrose, die mit uns kommen.« Er rannte weg, hielt aber noch einmal inne, dreht sich um und machte halb im Laufen noch eine flinke Verbeugung. »Merci, Monsieur Lenoir, danke für alles.«
Eine große Fahrt. Es schien, als ob die Zeit der Enttäuschungen für Paul vorbei wäre, auch über das entgangene Erbe machte er sich keine Gedanken mehr. Wer hätte das gedacht?
»Ich muss mich für die Aufregung entschuldigen«, versuchte Christien zu beschwichtigen, während Paul im Haus verschwand. »Es war beileibe nicht meine Absicht, Ihnen noch mehr Probleme zu bereiten.«
»Ich weiß. Sie konnten ja nicht ahnen, dass solche Sachen Maman so aufregen«, antwortete Reine gefasst.
»Ihr geht es wohl nicht sehr gut, oder?«
»Nein, sie verlässt nur selten das Haus, hat einfach nicht mehr die Kraft dazu, aber das war eigentlich schon immer so. Ihre Kindheit war nicht sehr glücklich. Sie hatte immer vor allem Angst, und jetzt ist es seit Theodores Tod noch schlimmer geworden, ihre Nerven sind völlig ruiniert. Damals, in jener Nacht, als er starb, war sie die Erste im Unglückszimmer und sah Marguerite, die neben einer Blutlache schlief. Im ersten Moment dachte sie, Marguerite wäre verletzt oder gar tot, und schrie vor Panik, bis die Kleine schließlich erschrocken aufwachte.«
»Ich verstehe schon«, meinte Christien und versuchte, angesichts der eben heraufbeschworenen Bilder ein Schaudern zu unterdrücken. Nach einer kurzen Pause fuhr er fort. »Also haben sie gar nichts gegen den
Fechtunterricht, sondern nur etwas gegen die Örtlichkeit, so nahe am Haus.«
Reines Gesichtzüge blieben ungerührt. »Ich weiß nicht recht. Mein Bruder braucht keine Ermutigung, sich als Degenkämpfer zu gebärden, um dann aus Übermut seine Freunde herauszufordern oder andere Gelegenheiten zu suchen, seinen Mut unter Beweis zu stellen.«
»Er wirkt aber doch eigentlich zu vernünftig für solche Albernheiten. Abgesehen davon lehre ich einen Verhaltenscodex, der gerade so etwas ablehnt. Das Fechten ist eine gute Schule, um Jungs zu Männern zu machen, sie Verantwortung zu lehren, Selbstdisziplin, Anstand, Ausdauer und ein Dutzend anderer Dinge.«
»Und Sie glauben, mein Bruder hat das nötig.«
Bevor Christien sich auf seine Antwort konzentrieren konnte, kam er nicht umhin, seinen Blick über Reines zarte Haut schweifen zu lassen und ihre langen Wimpern zu bewundern. Er sah aber auch die Besorgnis in ihren Augen und dachte, dass Paul sich glücklich schätzen konnte, so eine Schwester zu haben, die sich um ihn kümmerte. »Die meisten haben das nötig«, antwortete er schließlich, »und ihn scheinen außerdem einige Sorgen zu plagen, mit denen er vielleicht nicht so gut umgehen kann.«
»Er macht sich Gedanken über die Dinge, die nicht in seiner Macht liegen.«
»Das ist ein allgemeines Phänomen bei jungen Männern, dass sie meinen, sie müssten sich um Angelegenheiten kümmern, die jenseits ihrer Verantwortung liegen und die sie womöglich gar nicht beeinflussen können. Der richtige Umgang mit dem Degen wird ihm Halt geben. Vielleicht sollte ich auch noch hinzufügen, dass dies auch sein Leben retten könnte, sollte er einmal jemandem über den Weg laufen, der sein Temperament nicht so gut unter Kontrolle hat.
»Gebe Gott, dass dies nie der Fall sein wird«, sagte sie und schüttelte sich bei dem Gedanken daran. »Trotzdem bin ich nicht damit einverstanden, dass Sie glauben, mehr über meinen Bruder zu wissen als ich selbst, zumal sie ihn gerade mal einen Tag lang kennen.«
»Aber Sie werden doch zugestehen, dass wir beide Männer sind und damit womöglich ähnliche Bedürfnisse und
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