Im Wirbel der Gefuehle
sie es sich nicht leisten, ihren Ruf ohne Weiteres aufs Spiel zu setzen. Nachdenklich streichelte sie Chalmette über seinen großen, wuscheligen Kopf. Außerdem waren schließlich auch an-dere daran beteiligt, die womöglich ebenfalls darunter leiden müssten, wenn alle Details jener Nacht publik würden. Sie musste zumindest so lange warten, bis sie ihren Verlobten besser kennenIernen würde und ihm vertrauen könnte, dass er nicht jede Einzelheit ausplauderte. Schließlich hatte sie so viele Opfer gebracht, damit genau das nicht einträte.
Allerdings fragte sie sich auch, ob sie überhaupt je dieses Vertrauen in ihn aufbringen könnte.
»Dieser Mann wird Ärger machen.«
Die Bemerkung kam von einem Schatten im Inneren des Hauses, ein Schemen in schwarzem Kleid mit weißer Schürze, der direkt hinter der Verandatür stand, vor der Reine an ihrem Frühstückstisch saß. Reine hob den Kopf und drehte sich erschrocken um, denn ihre Nerven lagen inzwischen völlig blank. Doch nach einer Schrecksekunde ließ sie sich wieder entspannt in ihren Stuhl sinken.
»Alors, wegen dir bekomme ich eines Tages noch einen Herzanfall«, sagte sie. Die alte Demeter hatte die Angewohnheit, sich immer lautlos von einen in den anderen Raum des Hauses zu bewegen, und man wusste nie, wo sie als Nächstes auftauchen würde. Chalmette, der auf dem Boden der Veranda lag, nahm bis auf eine kleine Andeutung eines Schwanzwedeins keine weitere Notiz von ihr.
»Aber nicht doch. Sie sind noch jung und stark, ich dagegen bin bereits alt. Mein Herz wird vor Ihrem aufhören, zu schlagen.«
»Sag so etwas nicht.«
»Wieso nicht, wenn es wahr ist?«
Reine mochte davon nichts wissen, die Möglichkeit, dass noch jemand sterben könnte, verdrängte sie. Nichtsdestoweniger stimmte es natürlich, dass Demeter älter wurde und so langsam wie ein altes Tabaksblatt vor sich hinwelkte. Sie bekam immer mehr Falten, und ihr Körper wurde mit jedem Jahr, das ins Land ging, gebeugter. Ihr Haar war schlohweiß, was mit ihrem schwarzen Gesicht und dem dunklen Blick aus ihren runzeligen Augen kontrastierte. Ihre einst ordentlich gestärkte, blütenweiße Schürze war inzwischen zerknittert und voller schmieriger Flecken, die wohl auch auf ihren Schnupftabakkonsum zurückgingen.
Demeter hatte nach dem Tod von Theodore versucht, weiter als Kindermädchen zu arbeiten, aber es war einfach zu viel für sie. Trauer und Schmerz forderten schließlich ihren Tribut. Sie hatte ihn wie ihr eigenes Kind geliebt, und als er von ihr ging, hatte sie sich für Wochen geweigert, aus ihrem Bett aufzustehen. Sie hatte nie im Haupthaus von River’s Edge gewohnt, doch schon vor Jahren eine Hütte bezogen, die einmal für Theodores früh verstorbene Geschwister als Spielhäuschen errichtet worden war. Dort lebte sie mit streunenden Katzen, züchtete Kräuter und zog verschiedene Sorten von Gemüse. Sie schwor vor allem auf grünes Gemüse, welches sie auch zu jeder Mahlzeit zu sich nahm. Manchmal kam, der eine oder andere zu ihr, um sich einen Trank gegen irgendein Leiden brauen zu lassen, doch sie wirkte in ihrem kleinen, grauen Häuschen wie eine alte Hexe aus einem etwas merkwürdigen Märchen, sodass sie im Wesentlichen für sich allein blieb.
»Aber es stimmt doch, also warum sollte ich es nicht sagen?«, insistierte sie achselzuckend. »Andererseits mache ich mir Sorgen.«
»Über was?«
»Über Sie, Madame. Es ist falsch, was Sie tun. Sie sollten diesen Mann nicht heiraten.«
»Ich dachte, du hättest eben über Monsieur Kingsley gesprochen und ihn als Unruhestifter angesehen.«
»Das habe ich auch. Der stolziert wie ein aufgeblasener Gockel durch die Gegend. Aber jetzt spreche ich von dem anderen Mann, dem gut aussehenden mit dem Degen und seinen Versprechungen.«
Das war schon immer so mit älteren Hausangestellten gewesen, Reine wusste das; sie lebten so eng mit der Familie des Herrenhauses und waren so mit allen Details vertraut, dass sie sich es oft unverblümt herausnahmen, ihre Meinung zu äußern. »Wie kannst du nur sagen, dass wir nicht heiraten sollten? Du kennst ihn doch noch gar nicht.«
»Das macht nichts. Sie dürfen nicht heiraten.«
»Ich habe jetzt seit mehr als zwei Jahren Trauer getragen, länger, als es üblich ist, Demeter. Reicht das nicht? Willst du, dass ich mein Leben lang Witwe bleibe.«
»Manchmal muss man das. Ich trauere ja auch noch.«
»Aber wie du schon gesagt hast, du bist nicht mehr ganz so jung.« Das war vielleicht nicht sehr
Weitere Kostenlose Bücher