Im Wirbel der Gefuehle
nett, so etwas zu sagen, aber Demeters Ansinnen war auch nicht gerade freundlich.
»Abgesehen davon weißt du noch nicht alles. Ich muss Monsieur Lenoir einfach heiraten.«
Demeter bekam die Geschichte von der Spielschuld zu hören. Sie hielt den Kopf angestrengt zur Seite geneigt, um besser hören zu können, während sie mit ihren halbblinden, wässrigen Augen in den Bäumen ein Zaunkönigpärchen beobachtete, wie es versuchte, einen angreifenden Eichelhäher von ihrem Nest abzuhalten. Als Reine mit ihrem Bericht am Ende war, schüttelte Demeter den Kopf. »Das ist schlimm.«
»Ich gebe zu, dass ich zunächst überrascht war, aber
Marguerite mag diesen Mann. Ob du es glaubst oder nicht, aber letzte Nacht, als sie wieder ihren Albtraum hatte, lief sie zu ihm und nicht zu mir.«
»Kinder sind manchmal erstaunlich klug. Sie hat wieder den loup-garou gesehen, oder?«
Reine nickte unglücklich. »Sie war total verstört, und dann lief sie direkt auf Monsieur Lenoir zu. Als dieser sie in den Arm nahm, beruhigte sie sich sofort. Du weißt, dass es sonst Stunden dauert, bis es ihr wieder besser geht.«
»Glauben Sie, dass er ihr die Angst nimmt?«
»Ich habe gesehen, wie er das kann, und er war da, als sie ihn brauchte. Es ist anzunehmen, dass ein Mann mit einer Klinge in der Hand, die bessere Verteidigung gegen Monster ist, als allein die Mutter. Vielleicht braucht sie einfach nur einen Vater.«
Falls das alte Kindermädchen das Stocken in Reines Stimme bemerkt hatte bei dem Gedanken daran, dass sie als Beschützerin ihrer Tochter ersetzt werden könnte, so ließ sie sich das zumindest nicht anmerken.
»Sie hat einen Vater.«
»Aber er ist tot. Sie kann sich an Theodore so gut wie gar nicht mehr erinnern.«
»Sagen Sie so etwas nicht, Madame.«
»Sie war gerade einmal drei Jahre alt, als er starb. Kinder in diesem Alter haben noch kein richtiges Erinnerungsvermögen, und außerdem war es eine schreckliche Nacht. Besser sie behält davon nichts im Gedächtnis.« Reine war das sowieso lieber.
»Monsieur Theodore hat ihr das Leben geschenkt«, insistierte Demeter mit bebender Stimme.
Reine lächelte ein wenig gequält. »Ich dachte schon, dass ich das gewesen bin.«
»Sie ist das einzige Kind dieser Blutslinie, Theodo-res einziges Kind. Es wäre besser, wenn sie ein Junge geworden wäre.«
Theodore hatte tatsächlich seinen Unmut darüber geäußert, dass Marguerite ein Mädchen war und kein Junge. Die Erinnerung daran war bitter. »Du wirst so etwas nicht in ihrer Gegenwart sagen, bitte. Sie ist meine Tochter und kann meine Blutslinie fortführen.«
»Sie sollten sich schämen, Madame, das Letzte, was Theodore gehörte, ihm wegzunehmen.«
»Ich nehme ihm nichts weg, was er nicht freiwillig aufgegeben hat. Er wollte mit Marguerite nichts zu tun haben. Ich erinnere mich noch gut daran, auch wenn du das nicht tust.« Demeter war immer auf Theodores Seite gewesen, in jedem Streit. Für sie hatte er keine Fehler gehabt.
»Er war noch jung und mit sich noch nicht im Reinen.«
»Ich war auch jung und musste stark und erwachsen genug sein, um mit mir und ihm zurechtkommen.«
Demeter blickte Reine verschmitzt an. »Sie haben das ja gut gemacht, das habe ich auch immer gesagt. Sie brauchen keinen Ehemann.«
»Und ich will auch keinen, aber ich sage dir, ich muss diesen Mann heiraten, Schluss und aus.«
Die Endgültigkeit, mit der sie das sagte, hatte den gewünschten Effekt, und Demeter schwieg. Mit vorgeschobener Unterlippe und kopfschüttelnd zog sie sich in Richtung Küche zurück.
Reine sah ihr seufzend nach. Das alte Kindermädchen würde für eine Weile mit dem Koch zusammensitzen, das wusste sie, würde dankbar ein paar Kekse annehmen oder ein Stück Kuchen, um es mit einem Glas Buttermilch aus der großen Milchkanne zu genießen. Die beiden, die sich schon seit vielen Jahren kannten, würden dann das eben Erlebte auch noch den anderen Bediensteten des Hauses mitteilen und alles bis ins kleinste Detail mit ihnen besprechen. Nach einer Weile würde dann die Naschkatze Demeter alles, was sie an Süßem noch habhaft werden könnte, einpacken und zu ihrer kleinen Hütte tragen, sie würde mit den erbeuteten Kuchenstücken und Keksen zu ihrem Grüngemüse und ihren Katzen zurückkehren.
Reine wünschte sich, dass sie genauso leicht ihre Sorgen und Ängste ablegen könnte.
Achtes Kapitel
Das einzige Familienmitglied der Pingres, das bei Christiens Rückkehr zur Begrüßung erschien, war Paul Cassard. Als
Weitere Kostenlose Bücher