Im Wirbel der Gefuehle
Kingsley schweigen würde, doch dann fiel ihr sein Ruf als gefürchteter Fechtmeister wieder ein, und sie wollte sich keine weiteren Details mehr vorstellen.
Aus den Augenwinkeln heraus sah sie Theodores Porträt, das zu der Zeit gemalt wurde, als sie noch frisch vermählt waren. Es wurde ihr später von ihrer
Schwiegermutter überlassen, als diese nach Paris aufbrach.
Der Künstler zeigte ihn als eine Art Lord Byron: seine rechte Hand ruhte auf einem römischen Säulenstumpf und seine langen, braunen Locken hingen ihm wild ins Gesicht. Seine dunklen Augen waren eher eng zusammenstehend, sein Kinn leicht zurückgezogen und seine Lippen rot und voll. Auf dem Bild trug er eine bunt gemusterte Abendgarderobe mit großen dreieckigen Aufschlägen, die seine Schultern breiter aussehen ließen. Sein Gesichtsausdruck war leicht grüblerisch, aber auch ein wenig genervt, so als ob er vom Porträtsitzen gelangweilt wäre und dabei aber überheblich sicher, dass er würdig war, für die Nachwelt festgehalten zu werden.
Die Ähnlichkeit war verblüffend. Eigentlich sollte es, laut seiner Mutter, ein Erinnerungsstück für Marguerite sein, damit diese ein Andenken daran hätte, wer einst ihr Vater war. Reine ließ es jedoch bald hierher verbannen, da es die Albträume und Qualen ihrer Tochter nur noch verschlimmerte.
Nachdem er den letzten Chip in das Kästchen einsortiert hatte, schloss Christien den Deckel. »Es wäre vielleicht noch günstiger gewesen, wenn ich gewusst hätte, was der Mann damit andeuten wollte.«
»Er hat nichts gesagt.«
»Er war wohl der Ansicht, dass Sie das tun sollten, den Eindruck hatte ich jedenfalls.« Er drehte sich um, lehnte sich mit der Hüfte gegen den Spieltisch und verschränkte die Arme über der Brust.
Ganz offensichtlich schien er darauf zu warten, eine entsprechende Antwort zu bekommen. Sie hatte aber keinerlei Bedürfnis, näher darauf einzugehen. »Es ist nichts, wirklich.«
»Es ist also nichts, hat aber Ihren Vater jahrelang davon abgehalten, den Mann aufgrund seines Verhaltens hinauszuwerfen.«
»Er ist schon sein ganzes Leben lang hier gewesen und weiß genau, was getan werden muss. Mein Vater hat ein solides Wissen über die Landwirtschaft und ihre Organisation, aber er ist nicht der Richtige, wenn es darum geht, andere Leute dazu zu zwingen, in der heißen Mittagsonne zu arbeiten.« Sie schüttelte ihren Kopf. »Sie sollten das bereits gemerkt haben, schließlich haben sie die meiste Zeit der letzten drei Tage mit ihm am Kartentisch verbracht.«
»Das stört Sie?«
»Ich dachte eigentlich, da er am Spieltisch alles an Sie verloren hat, würde ihn das etwas vorsichtiger werden lassen. Das funktioniert natürlich nicht, wenn Sie ihn auch noch dazu ermutigen.« Die letzte Bemerkung sprach sie mit Nachdruck aus, auch um ihn von seiner vorherigen Frage abzulenken.
»Für manche ist das Spielen eben wie ein Rausch«, entgegnete Christien, »das unendliche Wenden der Karten ist der eigentliche Reiz dabei, nicht so sehr das Gewinnen. Es schien günstiger zu sein, ihn hier in River’s Edge seine Neigung ausleben zu lassen, wo er keinen Schaden anrichten kann, da wir nur um wenige Penny spielen. Sie werden vielleicht schon bemerkt haben, dass er seit meiner Ankunft nicht mehr in der Stadt war.«
Was ihr auffiel, war, dass der Fechtmeister sich tatsächlich Gedanken um das Wohlergehen ihres Vaters gemacht hatte, und zwar ohne einen großen Wirbel darum zu machen, sondern vielmehr in jeder Hinsicht dem Problem mit Bedacht begegnet war. Reine durchfuhr ein seltsames Gefühl, eine Mischung aus tiefer
Dankbarkeit und noch etwas anderem, was sie nicht näher bestimmen konnte, was sie jedoch durch und durch angenehm erschauern ließ. »Glauben Sie, das wird funktionieren?«
»Das bleibt abzuwarten. Im Moment jedenfalls scheint er damit gut zurechtzukommen.«
Ihr Vater genoss aber auch die bloße Gesellschaft von Christien, vielleicht hatte ihm die letzten Jahre auch ein wenig ein männlicher Ansprechpartner gefehlt. Paul war zwar immer da, aber er war noch ein bisschen jung, und Gott sei Dank auch nicht dem Kartenspiel zugetan.
»Was ich dabei natürlich insgeheim zu hoffen wagte«, fuhr Christien fort und näherte sich ihr langsam, »ist, dass Sie sich ein wenig vernachlässigt fühlen würden, wenn ich so viel Zeit mit Ihrem Vater verbringe.«
»Machen Sie sich nicht lächerlich.« Sie misstraute dem schelmischen Lächeln, das um seine Mundwinkel spielte, und den tiefen
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