Im Wirbel der Gefuehle
würde sie am Ende noch zu einer dieser unterwürfigen und willfährigen Frauen werden, die ihren Ehemann abgöttisch lieben und überall herumerzählen, wie sie es geschafft haben, ihn an sich zu binden.
Diese Angstvorstellung wurde sogleich von einer anderen ergänzt, nämlich was wäre, wenn Christien die ganze Zeit über gar nicht richtig geschlafen hätte? Konnte das sein? Wirkte das Laudanum bei ihm nicht richtig? Dabei war es ihr zunächst egal, dass er in diesem Fall womöglich gesehen hätte, wie sie ihn immer wieder liebvoll beobachtet hatte, aber er wusste wohl sowieso schon, woran er mit ihr war.
»Das trifft sich ja gut«, erwiderte sie sanft, bevor sie sich wieder ihrem Gast zuwandte. »Nun denn, kommen Sie, Monsieur Vinot, und nehmen Sie meinen Stuhl. Ich lasse euch beide kurz allein, um in der Küche ein wenig Wein und Kuchen zu holen.«
Das war natürlich nur eine Ausrede. Sie hätte gut auch Alonzo schicken können, damit er etwas besorgte. Vielmehr wollte sie Christien und seinem Freund ein Minimum an Privatsphäre zugestehen. Es war ihr wichtig, sich nicht in die Freundschaften und Bekanntschaften von Christien einzumischen, und er sollte das auch merken.
Als sie die Treppen herunterkam und gerade um den letzten Eckpfosten herumging, um sich auf den Weg in die Küche zu machen, platzte Paul zur Eingangstür herein. Im gleichen Augenblick sah auch er seine Schwester und blieb abrupt stehen, mit so fahlem Gesicht, dass seine sonst eher matten Sommersprossen wie braune Flecken auf der Haut wirkten.
»Hast du Papa gesehen?«, fragte er atemlos.
»Nicht mehr seit dem Mittagessen«, antwortete sie besorgt.
»Was ist los? Was willst du von ihm?«
»Hast du den Mann gesehen, ich meine den, der gerade hierher geritten ist? «
»Er ist oben bei Christien. Was ist mit ihm?«
»Das ist Vinot! Ich könnte es nicht glauben, wenn ich es nicht selbst gesehen hätte. Dass der es wagt, nach River’s Edge zu kommen, ist einfach unlassbar.«
»Wovon redest du denn überhaupt?« Reine versuchte, im Gesicht ihres Bruders einen Anhaltspunkt für seine Aufregung zu finden, und wunderte sich gleichzeitig, dass sie so unvorsichtig war, den Mann mit Christien einfach alleine zu lassen. Auch wenn er sich mittlerweile ganz gut erholt hatte, so war er immer noch weit davon entfernt, zu seiner alten Stärke gefunden zu haben. Er hatte viel zu viel Blut verloren. Falls Vinot zu den Männern gehörte, die ihn angegrif-
fen hatten, so könnte er ihn in seinem Zustand kaum abwehren.
Paul fuhr sich durchs Haar und strich sich seine langen Strähnen aus dem Gesicht. »Das weißt du nicht? Ich dachte, du wüsstest inzwischen Bescheid.«
»Sag mir jetzt sofort, was du da die ganze Zeit vor dich hinmurmelst, oder ich werde hysterisch«, fuhr sie ihn mit aller Strenge an.
»Das sollte ich vielleicht gar nicht.«
Der Blick, den ihr Bruder aufsetzte, war der eines Herrn von Stand, der es aus Gründen des Anstandes vermied, einer Dame etwas für sie Unangenehmes mitzuteilen. Das brachte sie zur Weißglut. »Paul!«
»Oh, schon gut«, rief er aus und hob zum Zeichen seiner Kapitulation die Hände. »Vinot ist der Vater des Mädchens, das Theodores heimliche Flamme war. Verstehst du, was ich meine?«
Ihr war bewusst, dass er jemanden gehabt hatte, aber sie kannte ihren Namen nicht. Sie nickte nur kurz.
»Er hat sie mit der üblichen Masche herumgekriegt, dann hat er sie verlassen, mit der Begründung, sie würde ihn betrügen. Die Sache ist nur, dass sie nicht irgendein Flittchen von der Rue Gallatin war, sondern ein unschuldiges, erst fünfzehnjähriges Mädchen aus gutem Hause.
Das sah Theodore nur zu ähnlich, dachte Reine verbittert, sich jemanden auszusuchen, der noch unerfahrener war, als er selbst. Als sie Pauls besorgten Blick sah, fragte sie ihn. »Wer hat dir das erzählt?«
»Papa, aber es ist auch allgemein bekannt, zumindest auf der Passage de la Bourse. Weißt du, Vinot ist einer der ältesten und am meisten respektierten Degenfechter. Außerdem führt er einen Salon auf dieser Straße der Fechtmeister. Er ist eine Legende - oder war es zumindest, bis er vor zwei Jahren seine Schule schloss. Niemand reichte auf der Blanche an ihn heran. Er hat sie alle unterrichtet, jeden im Vieux Carree, der heutzutage einen halbwegs guten Ruf im Fechten hat. Die Liste seiner bisher ausgefochtenen Duelle ist unendlich lang, und er ist wirklich unheimlich gut. Und dieser Vinot hat geschworen, dass er Theodore umbringen
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