Im Wirbel der Gefuehle
würde, für das, was er seiner Tochter angetan hat.«
Langsam dämmerte ihr es. »Deshalb ist Theodore damals also aus der Stadt geflohen, in jener Nacht, in der er umgebracht wurde.«
»Genau. Er hatte eine unglaubliche Angst vor dem alten Mann, vor allem, nachdem das Mädchen auf dem Kindbett verstarb. Völlig außer sich und unfähig klar zu denken, dachte er, dass er sich hier verstecken könnte. Hat aber nicht funktioniert.«
Reine hatte schon gemutmaßt, dass ihn in dieser tödlichen Nacht einige Schwierigkeiten dazu veranlasst hatten, von New Orleans zunächst nach Bonne Esperance herauszureiten und dann weiter nach River s Edge. Sie dachte an Spielschulden und Zahlungsrückstände in diversen Geschäften, machte sich aber keine weiteren Gedanken darum, da sie Ähnliches bereits von ihrem Vater gewöhnt war. Nie wäre sie auf die Idee gekommen, dass so etwas Schreckliches dahintersteckte.
»Glaubst du, dass Monsieur Vinot Theodore umgebracht hat? «
»Wäre gut möglich, oder? Seine Frau ist schon vor einigen Jahren gestorben, und seine Tochter war sein einziges Kind. Sie hat ihm den Haushalt geführt und sich auch um die Räume der Fechtschule gekümmert. Man sagt, dass er nach ihrem Tod halb verrückt wurde.«
»Aber sich so übel zu rächen.« Allein bei dem Gedanken daran zuckte sie zusammen.
»Du hast recht, das macht keinen Sinn. Man würde eher einen schnellen, blutigen Kampf mit der Klinge erwarten und nicht so einen feigen Hinterhalt. Allerdings wäre Theodore sicherlich nie ein offenes Duell mit Vinot eingegangen.«
Bestimmt nicht, dachte Reine. Seine Fehler einzugestehen und sich deren Konsequenzen zu stellen, war noch nie Theodores Stärke gewesen. Ein junges Mädchen schwanger sitzen zu lassen und die Vaterschaft nicht zuzugeben, das sah ganz nach Theodore aus.
Sie wünschte sich, sie hätte all dies schon vor zwei Jahren gewusst, dann hätte sie vielleicht ihrem Leben weniger hinterhergetrauert, ihrem Leben als angesehene junge Frau, die einem Haushalt Vorstand und Teil einer glücklichen und unbescholtenen Familie war, die aufging in der ihr zugedachten Rolle als Ehefrau und Mutter.
»Vinot erscheint mir nicht sehr Furcht einflößend zu sein«, dachte sie laut und griff damit Pauls Gedanken wieder auf.
»Christien ist das ja auch nicht, darauf würde ich mich nicht verlassen.«
»Nein«, antwortete sie versonnen und dachte dabei an die sich sanft bewegenden Schatten im Klostergarten von St. Anthony und das metallene Geräusch der sich kreuzenden Klingen. Sie holte tief Luft und nahm noch einen Anlauf, ihre Gedanken zu ordnen. »Aber, wenn Vinot Schuld am Tod von Theodore war, was hat dann der Angriff auf Christien damit zu tun ? Langsam glaube ich, dass eines zum anderen geführt an.«
Paul schaute sie grimmig an. »In welcher Hinsicht?«
»Ich bin mir da nicht sicher, aber irgendetwas ist da am Werk, was nicht bloßer Zufall ist.«
»Vor allem, weil Vinot jetzt hier ist, ich verstehe schon, was du meinst. Was hat er als Grund seines Besuches genannt?«
»Nur, dass er ein Freund von Christien ist. Als ich das Zimmer verlassen habe, konnte ich noch hören, wie er erwähnte, dass ihm der Überfall zu Ohren gekommen sei und er von Christiens Verletzung erfuhr.«
»Freund.« Die Stimme ihres Bruders klang äußerst zweifelnd.
»Sie sind beide Fechtmeister«, sagte sie, instinktiv auf der Suche nach einem Grund für die seltsame Begebenheit.
»Das sollte man immer im Auge behalten.« Er blickte nachdenklich an ihr vorbei. »Könnte sein, dass ich mal nachsehen sollte.«
»Du warst doch auf dem Weg zu Papa, nicht wahr? Ich gehe jetzt zurück in das Krankenzimmer.«
»Aber, was, wenn ...«
»Monsieur Vinot plant sicher keine Gewalttaten gegen mich. Ich habe ihm schließlich nichts getan.«
Pauls Miene blieb finster, als er seiner Schwester nachgab, sich umdrehte und zurück durch die Eingangstür das Haus verließ. Über die Schulter rief er ihr noch zu: »Ich komme bald wieder, mit oder ohne Papa.«
Ja, aber was würde er tun, wenn er zurückkäme? Was würde er tun? Reine wollte sich darauf keine Antwort geben.
Als sie kurze Zeit später vor der Tür zu Christiens Schlafzimmer stand, machte sie sich nicht die Mühe, anzuklopfen, sondern trat einfach ein, Alonzo im Schlepptau, der ein mit Essen und Getränken beladenes Tablett trug. Zuvor hörte sie noch durch die Tür, wie Christiens Stimme vor Ärger anschwoll und er ausrieh »Ich vergesse ganz bestimmt nicht, dass sie der
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