Im Zauber der Gefuehle
Lottie.«
»Aber bist du deshalb mein Freund?«, parierte sie abwehrend. »Bisher hast du dich nicht wie einer verhalten.«
»Ich habe dich nicht dazu gezwungen, etwas gegen deinen Willen zu tun.«
»Wenn du mich nicht aufgespürt hättest, würde ich immer noch glücklich auf Stony Cross Park leben ...«
»Du warst dort nicht glücklich. Ich wette, du warst noch keinen einzigen Tag in deinem Leben glücklich, seitdem du Lord Radnor zum ersten Mal begegnet bist.«
Ach, wie gerne hätte sie ihm widersprochen! Doch es war sinnlos zu lügen, wenn die Wahrheit so offensichtlich war.
»Als meine Frau wirst du das Leben endlich genießen können«, setzte Gentry hinzu. »Du wirst niemands Dienstbotin sein und kannst in vernünftigem Rahmen
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tun und lassen, was du willst. Und du musst dich nicht länger vor Lord Radnor fürchten.«
»All das für den Preis, dass ich mit dir schlafe«, flüsterte sie.
Er lächelte, und seine Antwort war voll samtener Arroganz. »Diesen Teil wirst du vielleicht ganz besonders genießen.«
Sechstes Kapitel
Als Lottie aus ihrem Schlummer erwachte, drang schon Tageslicht durch den Vorhangspalt am Fenster. Mit trüben Augen und zerzaustem Haar sah sie zu ihrem zukünftigen Gatten hinüber, dessen Kleidung etwas zerknittert war, der aber insgesamt einen bemerkenswert wachen Eindruck machte.
»Viel Schlaf brauche ich nicht«, sagte er, als könne er ihre Gedanken lesen. Dann griff er nach ihrer Hand und legte ihre Haarnadeln hinein. Ihre Finger schlossen sich um die Drahtstücke, die die Wärme seiner Haut angenommen hatten. Mit einem Geschick, das auf vielen Jahren Übung beruhte, begann sie mechanisch, sich das Haar zu flechten und hochzustecken.
Gentry zog den Vorhang zur Seite und betrachtete die Stadt, in der es von Menschen wimmelte. Ein vereinzelter Sonnenstrahl fiel ihm in die Augen und ließ sie einen Blauton annehmen, der beinahe unnatürlich wirkte. Obwohl sie in einer geschlossenen Kutsche saßen, konnte Lottie seine Vertrautheit mit der Stadt und die Furchtlosigkeit spüren, mit der er sich in jeden noch so gefährlichen Winkel selbst der Elendsviertel Londons wagte.
Kein Adeliger, dem sie je begegnet war — und aut Stony Cross Park hatte es dazu reichlich Gelegenheit gegeben —, hatte derart welterfahren und abgehärtet ausgesehen, dass es fast den Anschein hatte, als würde dieser Mann vor absolut nichts zurückschrecken, um an sein Ziel zu gelangen. Wohl erzogene Männer waren in der Lage, in gewissen Dingen eine klare Grenze zu ziehen ... sie hatten Prinzipien und Moralvorstellungen ... alles Dinge, die Gentry bisher noch nicht an den Tag gelegt hatte.
Sollte er tatsächlich dem Adel angehören, hielt Lottie
es für eine kluge Entscheidung, »Sydney in Frieden ruhen« zu lassen, wie er es ausgedrückt hatte. Sie war sich sicher, dass es ihm schwer fallen würde, sich in den exklusiven Kreisen Londons zu behaupten.
»Lord Westcliff erzählte mir, du seist der Kopf einer Diebesbande gewesen«, stellte sie fest. »Außerdem meinte er ...«
»Ich bedaure, aber ich war keine so mächtige Figur, wie die Leute gerne glauben«, unterbrach Gentry sie. »Ein paar Verfasser von Balladenbüchlein haben sich alle Mühe gegeben, mich Furcht erregender als Attila den Hunnen darzustellen. Natürlich möchte ich nicht behaupten, ein Unschuldslamm zu sein, denn ich leitete eine verdammt profitable Schmugglerbande. Abgesehen davon war ich aber auch ein ausgezeichneter Privatermittler und habe etliche Verbrecher gestellt, wenngleich meine Methoden vielleicht nicht immer ganz astrein gewesen sein mögen.«
»Es will mir nicht in den Kopf, wie du Dieben und Schmugglern vorstehen und zur gleichen Zeit als Ermittler arbeiten konntest.«
»Ich hatte in ganz London und darüber hinaus meine Spione und Informanten, sodass ich gegen jeden Verbrecher von Gin Alley bis zur Dead Man’s Lane Beweise in der Hand hatte. Immer, wenn mir jemand in die Quere kam, verpfiff ich ihn und kassierte die Belohnung ein. Als Runner ist die Verbrecherjagd viel schwieriger, da der Polizeichef von mir verlangt, dass ich mich an seine Vorgaben halte. Aber ich bin trotzdem der beste Mann, den er im Stall hat.«
»Und nicht zu bescheiden, es zuzugeben«, bemerkte sie trocken.
»Für falsche Bescheidenheit habe ich nichts übrig. Außerdem entspricht es der Wahrheit.«
»Das bezweifle ich nicht, schließlich ist es dir gelungen, mich zu finden, nachdem Lord Radnors Leute es zwei Jahre lang vergeblich
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