Im Zauber der Gefuehle
die kleinen, unscheinbaren Gebäude -Bow Street Nr. 3 und 4 — das Zentrum der englischen Verbrechensbekämpfung darstellten. Hier hielt Sir Grant Morgan Gericht und leitete seine Einsatztruppe, die acht Runner umfasste.
Nick erwiderte die Begrüßungsworte der Schreiber und Wachtmeister mit einem entspannten Lächeln, während er Bow Street Nr. 3 durchquerte. Es hatte nicht lange gedauert, bis die Leute in der Bow Street seine Vorzüge zu schätzen gelernt hatten; vor allem seine Bereitschaft, auch die Elendsquartiere und Drogenhöhlen zu betreten, in die niemand sonst einen Fuß zu setzen wagte. Es machte ihm nichts aus, die gefährlichsten Aufträge zu übernehmen, da er keinerlei Familie besaß, an die er denken musste, und er ohnehin nicht sonderlich wählerisch war. Ja, aufgrund einer Eigenart, die Nick selbst nicht ganz verstand, war er auf ein gewisses Risiko regelrecht angewiesen, als sei Gefahr eine Droge, von der er nicht loskam. In den letzten beiden Monaten, die er mit zahmen Nachforschungen verbracht hatte, hatte sich eine rohe Energie in ihm aufgestaut, der er kaum mehr Herr wurde.
Als er Morgans Büro erreichte, warf er dem ersten Gerichtsschreiber Vickery einen fragenden Blick zu, den dieser mit einem auffordernden Nicken beantwortete. »Sir Grant ist diesen Morgen noch nicht bei Gericht, Mr. Gentry. Ich bin mir sicher, dass er Euch sehen möchte.«
Nick klopfte an und hörte alsbald Morgans polternde Stimme. »Herein!«
So riesig der alte Mahagonischreibtisch in dem Büro auch sein mochte, im Vergleich zu dem Mann, der dahinter saß, wirkte er wie ein Puppenspielzeug. Sir Grant Morgan war ein Mann von enormer Körpergröße, der mit seinen fast zwei Metern noch Nick um etliche Zentimeter überragte. Obwohl Morgan auf die vierzig zuging, war in seinem kurzen, schwarzen Haar noch keine einzige silberne Strähne zu entdecken, und seine unvergleichliche Lebenskraft hatte seit den Tagen, als er selbst noch als Bow-Street-Runner gedient hatte, nicht im Geringsten nachgelassen. Abgesehen davon, dass er zu seiner Zeit der beste Runner gewesen war, war er ohne Zweifel auch der bekannteste, da man ihn einst zum Helden einer Reihe weit verbreiteter Groschenromane gemacht hatte. Bevor Morgan in Erscheinung getreten war, hatten Regierung und Bevölkerung der gesamten Bow-Street-Truppe mit dem Misstrauen gegenübergestanden, das den Briten bezüglich jeglicher Form organisierter Verbrechensbekämpfung innewohnt.
Nick war erleichtert gewesen, als Sir Ross Morgan zu seinem Nachfolger ernannt hatte. Morgan war ein intelligenter Mann, der sich fast alles selbst beigebracht hatte und sich von ganz unten bis an die Spitze hochgearbeitet hatte. Angelangen hatte er als einfacher Wachtmeister, der seine Rundgänge machte, und nun bekleidete er die ehrwürdige Stelle des obersten Polizeichefs. Nick respektierte das, außerdem schätzte er Morgans unverblümte Aufrichtigkeit und die Tatsache, dass er sich fast nie in ethischen Haarspaltereien erging, wenn eine Angelegenheit erledigt werden musste.
Morgan führte seine Untergebenen mit eherner Hand,
und die Runner zollten ihm aufgrund seiner Hartnäckigkeit und Härte großen Respekt. Seine einzige Schwäche war seine Gattin, eine kleine, reizende Dame, deren bloße Anwesenheit dazu führen konnte, dass ihr Mann wie eine Katze schnurrte. Es ließ sich immer leicht feststellen, ob Lady Morgan dem Revier einen Besuch abgestattet hatte, denn sie hinterließ den zauberhaften Duft ihres Parfüms in der Luft und einen glücklich verwirrten Ausdruck auf dem Gesicht ihres Gatten. Nick amüsierte sich regelmäßig über die offenkundige Schwäche Sir Grants, was seine Ehefrau betraf, und war fest entschlossen, eine derartige Falle in seinem eigenen Leben zu umgehen. Keine Frau würde ihn jemals um den kleinen Finger wickeln. Sollten Morgan und Sir Ross sich doch wegen ihrer Frauen der Lächerlichkeit preisgeben — er selbst war klüger!
»Willkommen zurück«, sagte der Polizeichef und lehnte sich in den Sessel, um Nick mit seinen grünen Augen eingehend zu mustern. »Setzt Euch. Gehe ich recht in der Annahme, dass die Sache mit Lord Radnor erledigt ist, da Ihr nun wieder hier seid?«
Nick ließ sich auf dem Stuhl vor dem Schreibtisch nieder. »Ja. Ich fand Miss Howard in Hampshire, wo sie als Gesellschafterin der Herzoginwitwe von Westcliff arbeitete.«
»Ich kenne Lord Westcliff«, meinte Morgan. »Ein Ehrenmann mit gesundem Menschenverstand.«
Aus Morgans Mund waren
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