Beauty Academy meinten, kurzes Haar verlängere optisch den Hals. So im Ganzen betrachtet, sahen ihre Brüste in manchen Tops künstlich aus, aber sie waren echt. Und Jessi fand, sie sollte sie genießen, solange sie konnte; denn ihr war klar, dass die Schwerkraft eines Tages ihren Tribut fordern würde.
Die blinkenden Leuchtziffern auf dem roten Radiowecker weckten unvermittelt ihre Aufmerksamkeit, als sie zur vollen Stunde wechselten.
Vier Uhr.
Jessi starrte entsetzt in den Spiegel. In drei Stunden und zwanzig Minuten begann der Lehrbetrieb an der Uni! An den Donnerstagen leitete sie vier Anthropologie-Kurse.
Zumindest hatte sie das bisher getan. Heute würde sie bestimmt niemanden unterrichten.
Sie überlegte, ob sie im Sekretariat anrufen und sich krankmelden sollte, entschied sich jedoch dagegen. Wenn dies alles vorbei war, musste sie sich eine Geschichte ausdenken, die sie erzählen konnte. Vielleicht kam sie durch, wenn sie behauptete, gewaltsam entführt und zu sämtlichen Taten gezwungen worden zu sein. Das wäre absolut unglaubwürdig, wenn sie sich jetzt krankmeldete. Es ist seltsam, dass ein Kidnapper sein Opfer telefonieren und sich beim Arbeitgeber wegen Krankheit entschuldigen lässt, das w eiß ich, aber dieser Kidnapper war nicht ganz dicht im Oberstübchen. Diese Lügen würden ihr sofort um die Ohren fliegen.
Sie schnaubte ungestüm und richtete den Blick wieder auf den Laptop, mit dem sie sich auf der Hotelleitung eingeloggt hatte. Sie hatte sich entschieden, sich ihre E-Mails - selbst wenn es im Grunde sinnlos war - anzusehen, solange Cian unter der Dusche stand, einerseits, um in der Routine Trost zu finden, andererseits, um nicht ständig Sex im Kopf zu haben, was ihr in Cians Nähe so schwer fiel, wie nicht an Schokolade zu denken, wenn eine riesige Tafel vor ihr lag.
Es waren die üblichen Mails eingegangen: Newsletters, die sie abonniert hatte, um über die neuesten Entwicklungen auf ihrem Gebiet auf dem Laufenden zu sein; Nachrichten von Studenten, die sie unterrichtete und die mit erstaunlich kreativen Ausreden forderten, dass sie eine Ausnahme bei ihnen machen und darüber hinwegsehen sollte, dass sie erstens nicht anwesend sein, zweitens nicht an einer Prüfung teilnehmen oder drittens ihre Hausarbeit nicht rechtzeitig abgeben konnten. Den unterhaltsamen und einfallsreichen Bitten um Nachsicht folgte eine unerwünschte Werbe-Mail nach der anderen, zuletzt ihre Lieblingswerbung, der nackte Mann der Woche von ihren Cyberfreunden bei RBL Romantica.
Sie machte kurzen Prozess mit ihrer Korrespondenz, speicherte die Newsletters in einem Ordner ab, um sich später eingehender damit zu befassen, lehnte alle Bitten und Entschuldigungen, wenn es sich nicht gerade um einen Todesfall in der Familie handelte, ab und suchte sich das schönste Foto vom nackten Mann der Woche als Bildschirmschoner aus. Der Rest der Spams wanderte in den Papierkorb. Sie war gerade dabei, den Computer herunterzufahren, als eine neue Mail eintraf. Sie sah sich den Absender an.
[email protected].
Sie kannte keinen
[email protected] . und hatte eine regelrechte Phobie, was Viren betraf. Ihrem Laptop durfte nichts passieren, denn einen neuen konnte sie sich nicht leisten. Unter Betreff war nichts angegeben, und ihre strikten, selbstauferlegten Regeln sahen für solche Fälle den direkten Weg in den Papierkorb vor.
Doch als sie den Cursor darüber gleiten ließ, fuhr ihr eine plötzliche Kälte bis in die Knochen. Ihre Finger zuckten über das Mauspad.
Sie ließ den Cursor noch einmal über die Zeile gleiten, und wieder schnappte eine schmerzhafte Kälte nach ihrer Hand.
Sie schauderte und bewegte den Cursor schnell weiter.
Oh, das war einfach verrückt.
Sie runzelte die Stirn und dachte daran, wie die E-Mail angekommen war. Sprang eine Nachricht jemals einfach so auf den Bildschirm, wenn man die Liste der eingegangenen Mails überprüfte?
Sie konnte sich nicht erinnern, dass das schon einmal vorgekommen wäre.
Vorsichtig fuhr sie mit dem Cursor über die oberste Zeile: Kein Betreff. Sie verzog das Gesicht, als sie wieder dieses eigenartige Gefühl in der Hand bekam, und klickte die Mail rasch an, um die Finger gleich wieder wegzuziehen.
Sie drückte zitternd die Handfläche an die Wange. Sie war kalt wie Eis.
Mit großen Augen starrte sie auf den Bildschirm. Die Mail bestand aus folgenden Zeilen:
Unverzügliche Rückgabe des Spiege ls gefordert.
Kontaktieren Sie
[email protected] . für weitere