Im Zauber des Highlanders
vierundzwanzig Stunden ohne jede Nahrung ihr Urteilsvermögen ein wenig beeinflussten. Sie trank gierig aus der Wasserflasche; die weiten Wege, die sie zurückgelegt hatte, und die Angst hatten sie regelrecht ausgedörrt.
Sie lehnte sich auf dem Beifahrersitz des SUV zurück und streckte die Beine aus. Sie fühlte sich so viel besser, war endlich satt und beruhigt, weil sie jetzt wusste, dass Cian in Sicherheit war. Und sie freute sich, dass sie die kommende Nacht nicht unter irgendeiner Brücke verbringen und sich mit Zeitungspapier zudecken musste, um nicht zu frieren.
»Lieber Himmel, hab ich schon gesagt, wie leid mir das alles tut?«
»Nur ungefähr hundertmal«, gab sie zurück.
»Ich fühle mich so schlecht deswegen. Ich hätte den Spiegel niemals mitgenommen, wenn ich gewusst hätte, dass Sie dadurch in Gefahr geraten. Das müssen Sie mir glauben.«
»Das tue ich«, versicherte sie. »Und es ist ja gut ausgegangen. Ich bin hier. Cian ist in Sicherheit, und niemand hat Schaden genommen.« Allerdings musste sie sich insgeheim eingestehen, dass sie sich erst wirklich gut fühlen würde, wenn sie Cian mit eigenen Augen gesehen hatte. »Und bitte«, setzte sie hinzu, »mir wäre es lieber, wenn wir uns duzen könnten - ich bin Jessi.«
Sie warf einen Blick auf Dageus. Mittlerweile war es draußen ganz dunkel geworden, nur die fahle grüne Beleuchtung des Armaturenbretts spendete ein wenig Licht. Er sah Cian ungeheuer ähnlich - dieselben kraftvollen Züge, das lange Haar, die vollkommene Figur. Auch sein Respekt und das Verantwortungsgefühl für Frauen erinnerten sie an Cian.
Er habe Stunden nach ihr gesucht, hatte er ihr erzählt, als sich schließlich ihre Wege kreuzten.
Da Jessi verzweifelt war, nachdem sie das SUV nicht mehr gefunden hatte, suchte sie methodisch alle Straßen, Gassen und Parkplätze in Inverness ab. Wider alle Vernunft hoffte sie, dass sie durch ein Wunder auf das Auto stoßen würde. Es war ein miserabler Plan, das wusste sie selbst, aber sie musste irgendwas tun, irgendwas, sonst wäre sie heulend zusammengebrochen.
Die Wahrheit war, dass sie nicht damit gerechnet hatte, das Auto zu finden, und als sie es kurz vor Einbruch der Nacht am Ende des nächsten Blocks am Straßenrand entdeckte, verschlug es ihr die Sprache.
Sie rannte begeistert und vollkommen unüberlegt darauf zu. Erst im letzten Moment setzte ihr Verstand ein, und sie blieb etwa fünf Meter davor stehen und sah sich wachsam um.
Dann stieg Cians Nachkomme aus und blieb mit dem Rücken zu ihr stehen.
»Hey«, platzte sie, ohne nachzudenken, heraus, »ich kenne Sie. Was machen Sie mit unserem Wagen?«
Die plötzliche Angst, dass er zu den Bösen gehören könnte, stieg erst jetzt so richtig in ihr auf. Er drehte sich zu ihr um, sah sie an und wirkte derart erleichtert, dass all ihre Bedenken verflogen. »Gott sei Dank! Sie sind da, Mädchen. Ich habe überall nach Ihnen gesucht!«, rief er aus.
Sie brach fast in Tränen aus, so erschöpft und hungrig war sie.
Sie war doch nicht mutterseelenallein und verloren in Schottland. Jemand hatte sie gesucht und war froh, sie zu sehen.
Er erzählte ihr zwischen seinen zahlreichen Entschuldigungen, dass er den Wagen nur genommen habe, weil ihm der Dunkle Spiegel aufgefallen sei und er sich den Kopf zerbrochen habe, was jemand mit diesem Heiligtum vorhaben mochte. Erst zu Hause habe er gemerkt, dass sich Cian in dem Spiegel befand, und sein wütender Vorfahr habe ihn zurückgeschickt, um sie zu suchen.
Sein wütender Vorfahr, hatte er gesagt. Er wusste es. Und er schien das keineswegs unheimlich zu finden.
Im Tiedeman's hatte Dageus Cian zwar als »Verwandten« bezeichnet, Jessi hatte jedoch angenommen, dass er glaubte, er hätte es mit einem weitläufigen, zeitgenössischen Vetter zu tun. Damit, dass er es auch nur ahnen könnte, dass ihm ein Vorfahr gegenüberstand, der mehr als elfhundert Jahre in einem Spiegel gefangen war, hätte sie niemals gerechnet. Mal ehrlich - welcher Mensch würde einen solchen Unsinn einfach so hinnehmen? Sie ganz bestimmt nicht. Sie hatte sich gegen diese Möglichkeit gewehrt, bis es nicht mehr ging und sie gezwungen war einzusehen, dass ihr Leben auf dem Spiel stand.
Dageus hingegen hatte gar kein Problem damit. Und das ließ nur einen logischen Schluss zu.
»Ich vermute, keiner von euch MacKeltars ist normal, was?«, wagte sie einen Vorstoß.
Er lächelte leicht. »Nein, das sind wir wohl nicht. Ich bin überzeugt, meine Frau wird dir die
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