Im Zauber des Mondes
der Zuschauer nackt auszog. Angewidert zog er die Oberlippe hoch, während sie, splitternackt und kichernd, von dem Gentleman, der heute nacht ihre Gunst genießen würde, aus dem Saal gescheucht wurde.
Die Hausparty hatte eine Woche gedauert, heute war der letzte Tag. Connor bezweifelte nicht, daß die junge Frau während dieser Zeit so viele Liebhaber gehabt hatte wie die Woche Tage. Es war ein Maskenball, und die Frauen - man konnte sie kaum Ladys nennen - waren auffallend aufreizend gekleidet. Bei manchen war der Ausschnitt so tief und der Rock so hoch gerafft, daß dazwischen nicht mehr viel der Vorstellungskraft überlassen blieb. Andere wieder trugen enganliegende, durchscheinende Gewänder. Die Gentlemen waren zurückhaltender gekleidet, die meisten beschränkten sich auf Dominos in leuchtenden Farben und Schwarz. Hier und dort bevorzugte ein Dandy eine etwas ausgefallenere Verkleidung, wie zum Beispiel der kichernde Julius Cäsar in der Ecke. Alle trugen Masken.
Aus diesem Grund hatte sich Connor dieses Haus auch ausgesucht. Es war lächerlich einfach gewesen, hineinzukommen. In seinem Domino und mit der Maske unterschied er sich in nichts von den anderen Gentlemen. Er war vor einer Stunde angekommen und hatte in der Zwischenzeit nähere Bekanntschaft mit dem Schmuck der meisten anwesenden Frauen gemacht. Sein eigentliches Ziel waren aber die Rubine gewesen, die ihr Gastgeber von seiner kürzlich verschiedenen Frau geerbt hatte. Unachtsam hingeworfen, waren sie noch immer in dem Schmuckkästchen gelegen, das zwischen den anderen Sachen auf ihrem Frisiertischchen gestanden hatte.
Das Ledersäckchen mit den erbeuteten Juwelen hatte er aus einem Fenster fallen lassen, und jetzt war er auf dem Weg, sie zu holen. Ein kleines Lächeln umspielte seine Lippen, als er den Wert seiner Beute abschätzte. Das Leben eines Einbrechers war einfacher und einträglicher als das eines Straßenräubers.
Gerade wollte er die Treppe hinuntergehen, als ihm eine junge Frau ins Auge stach. Was an ihr seine Aufmerksamkeit erregt hatte, wußte er nicht. Im Gegensatz zu den anderen Frauen trug sie einen schwarzen Domino, ähnlich dem seinen. Ihr Haar, zu einer komplizierten Frisur aufgetürmt, war ebenfalls schwarz und mit schimmernden Perlen verziert. Eine ausladende Katzenaugenmaske aus goldfarbenem Satin verdeckte die obere Hälfte ihres Gesichts. Sie tanzte gerade mit einem großen, ziemlich dürren Gentleman, und sie lächelte nicht. Jetzt wußte er es: etwas an ihrer Haltung, ihren graziösen Bewegungen erinnerte ihn an Caitlyn. Er folgte ihr mit den Augen, und seine Lippen wurden schmal. Automatisch legte er eine Hand auf die Narbe an seinem Oberschenkel. Die Erinnerung schmerzte immer noch.
Heute war es fast auf den Tag genau ein Jahr, daß er sie verloren hatte, und noch immer ertappte er sich dabei, daß er junge schwarzhaarige Damen anstarrte, weil ihn für einen Moment die irrsinnige Hoffnung durchfuhr, es wäre wie durch ein Wunder seine Caitlyn. Aber da hätte Gott schon ein ganz außergewöhnliches Wunder tun müssen, denn Caitlyn war tot, und wie es sich für einen Straßenräuber gehörte, war sie irgendwo verscharrt worden, ohne ein Wort oder Gebet. Er hatte nicht einmal ein Grab, über dem er hätte trauern können, aber das hinderte ihn nicht daran.
Er hatte ihr nie gesagt, daß er sie liebte, und das fraß an ihm. Er hatte es ja selbst nicht gewußt, bis Liam ihm damals gesagt hatte, daß sie tot war. Damals hatte er zum erstenmal in den Armen seines Bruders geweint. Als sein Bein langsam heilte und aufhörte, ihm Schmerzen zu bereiten, dachte er, daß auch seine Seele heilen würde, aber da hatte er sich getäuscht. Selbst nach einem Jahr war jede Erinnerung an Caitlyn noch schmerzhafter, als sein Bein es je gewesen war.
Zuerst hatte er versucht, seinen Kummer im Alkohol zu ertränken, aber es hatte nicht funktioniert. Wenn er betrunken gewesen war, hatte sie so deutlich Gestalt angenommen, daß es ihm hinterher so vorgekommen war, als hätte er sie eben von neuem verloren. Dann war ihm klargeworden, daß selbst der beste irische Whiskey sie nicht zurückbringen würde, und er hatte damit aufgehört. Zwei Wochen später hatte er Donoughmore dann einem Verwalter übergeben und mit seinen Brüdern und Mickeen Irland verlassen. Wenigstens wurde er so nicht ständig an sie erinnert, aber der Schmerz war deshalb nicht geringer geworden.
Er hatte Caitlyn verloren, und er hatte entdeckt, daß er mit Verlusten
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